Filmwelten – Kino zwischen Erfolg und Krise
"Madame Nein“ – auf nur zwei Wörtchen wurde Ende 2008 von einigen französischen Kommentatoren die Position von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der internationalen Finanzkrise reduziert. So stark kann eine Sprache sein: Besser als durch endlose Berichte über Sinn und Unsinn gemeinsamer Initiativen wird durch wenige Begriffe eine ganze Politik beschrieben. Die Bundeskanzlerin befindet sich nun in Gesellschaft eines französischen „Hyper-Präsidenten“ und eines amerikanischen „Turbo-Präsidenten“. Noch kürzer geht es wohl kaum. Im Anfang war das Wort … Schnell kam das Bild hinterher. Erst in jüngster Zeit wurde das Bild zum Foto, bevor es sich zum Film bewegte. In ihrem gemeinsamen Dossier bieten Dokumente und Documents einen Überblick dazu an, wie sich der Film in den letzten Jahren in Deutschland und Frankreich entwickelt hat. Krisen und Erfolge hier, Erfolge und Krisen da – die Bilanz ist jeweils das Abbild einer Momentaufnahme, eines Trends, einer Mode; sie entspricht keinen Gesetzen, höchstens den Regeln des Marktes und den Erwartungen des Publikums. Filme, als bewegte Bilder, spiegeln die Bewegungen der Gesellschaft wider, aber auch die manchmal revolutionären Schritte der Regisseure auf der Suche nach neuen Wegen. Besonders interessant sind dabei die Bemühungen um Globalisierung, sicherlich aus kommerziellen Gründen, aber auch aus dem kulturellen Ideal heraus, man könne im Ausland durch Filmproduktionen das Verständnis für eigene Geschichte und Geschichten steigern. Dass es nicht immer so klappt, wie sich es Filmproduzenten wünschen, hat aber weniger mit Bildern als mit Wörtern zu tun. Filme im Kino und im Fernsehen, im Internet und auf dem iPod, Kurz- und Spielfilme, Dokumentar- und Reportagefilme gehören mittlerweile zum Alltag; Worte und Wörter hingegen erleben eine dramatische Entwicklung, besonders bei Jugendlichen – nicht zuletzt aufgrund von SMS und Chatrooms. Während die deutsche Sprache in französischen Schulen und die französische in deutschen zu Gunsten des Englischen nur noch als exotische Fächer betrachtet werden, entstehen Wortschöpfungen, die die tagtägliche Kommunikation zwischen jungen Franzosen und Deutschen nicht gerade vereinfachen. Wenn Wörter nicht mehr gesprochen und geschrieben, nicht mehr gehört und gelesen werden, besteht die Gefahr, dass nur noch Bilder herangezogen werden, um die Welt zu erklären. Klischees also, wie diejenigen, mit denen man in den deutsch-französischen Beziehungen leider noch so oft konfrontiert wird. Die Vorstellung, man könnte diese neuen Defizite mit erfolgreichen Kinoproduktionen über die Stasi und die Ch’tis, über Baader und Mesrine, über Integration und Widerstand kompensieren, ist grausam. Nun hängen in den Straßen beider Länder riesengroße Plakate, um für einen Film über Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu werben. Operation Walküre erhitzt die Gemüter – in Deutschland, weil der Graf vom amerikanischen Scientologen Tom Cruise gespielt wird; in Frankreich, weil der Film über die Vorgeschichte der späten Hitler-Gegner und über ihre ideologische Wendung nichts verrät. Wer positiv denkt, wird aber begrüßen, dass dieses Kinoereignis durch das Erscheinen von unzähligen Büchern (auch und vor allem in Frankreich) über den deutschen Widerstand im Dritten Reich begleitet wird. Das Thema wurde sehr lange verdrängt. Nicht nur Kinobilder sorgen endlich für eine umfangreiche Vergangenheitsbewältigung. Auch Wörter haben hierbei … ein Wörtchen mitzureden.
Gérard Foussier
Chronologie/Chronologie
Inhalt/Sommaire
Die EU sucht Wege aus der Wirtschafts- und Finanzkrise
Die Vorschläge der Kaspi-Kommission sorgen für Polemik
Das Deutsch-Französische Forschungsinstitut Saint-Louis