Über Frankreich

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Cioran, E. M.
2010, Suhrkamp Verlag, ISBN10: 3518421468

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 3/2010 

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Ce livre a fait l'objet d'un compte rendu de lecture dans le numéro : Dokumente/Documents 3/2010 

Rezension / Compte rendu:
Ein Essay über Frankreich

Frankreich zählt ihn zu seinen größten Autoren der modernen Literatur. Emil Cioran, der 1911 in Rumänien (damals Österreich-Ungarn) geborene Essayist, starb 1995 in Paris. Seit 1947 hatte er nur noch auf Französisch geschrieben, aber die französische Staatsbürgerschaft hat er nie beantragt. Erst nach seinem Tode fand man ein Essay über Frankreich, den er 1941, noch in rumänischer Sprache, verfasst hatte. Ein Buch über Frankreich, seine Kultur und seine Geschichte, aber auch über Dekadenz. Nachdem 2009 eine französische Übersetzung vom Verlag "Editions de l'Herne" (unter dem Titel "De la France") angeboten wurde, ist nun das Manuskript auch in deutscher Sprache erschienen.
Cioran kam bereits 1937 nach Paris, nachdem er drei Jahre in Berlin gelebt hatte, und blieb in der französischen Hauptstadt, da die rumänischen Kommunisten nach dem Krieg seine Bücher verboten hatten. Er übersetzte Mallarmé ins Rumänische, lernte Eugène Ionesco und Samuel Beckett kennen, und vor allem liebte er Frankreich: "Ich verstehe Frankreich gut - durch alles, was faul in mir ist. Und Deutschland, Rußland, den Balkan durch die Frische, die ich von einem erdverbundenen Volk erbte".
Seine Analyse aus dem Jahre 1941, ein Jahr nach dem Einmarsch der Wehrmacht, hat nicht nur mit der politischen Situation Frankreichs zu tun, sondern mit der Identität des Landes. Sie hat zum Teil an Aktualität nichts eingebüßt: "Die Kultur saugt die Vorräte an Empfinden auf, sie ist ein Grab des Herzens, ein Energiehaushalt zu Lasten des Blutes. Jeder Beweis des französischen Genius - eine Kirche, eine Maxime, eine Schlacht - hat ein Mehr an Gegenwart und ein Weniger an Zukunft in sich eingeschlossen".
Cioran benutzt viele französische Ausdrücke, um "sein" Frankreich zu beschreiben. Zum Beispiel das Wort "cafard" (Trübsinn, Kater, Katzenjammer). Das ganze Volk, so der Autor, "erkrankt am cafard - dies ist das häufigste Wort, sowohl in der feinen Welt als auch bei den einfachen Menschen".
Direkt zu Anfang seines Essays liefert er die Gründe seiner Leidenschaft für Frankreich: "Ich glaube nicht, dass ich die Franzosen lieben würde, wenn sie sich im Laufe ihrer Geschichte nicht so sehr gelangweilt hätten. Aber ihre Langeweile mangelt das Unendliche. Es ist die Langeweile der Klarheit. Des Verstandenen müde sein". Und er liefert einen Vergleich mit Deutschland: "Während die Deutschen Banalitäten als ehrenwerten Gesprächsstoff erachten, ziehen die Franzosen eine wohlausgedrückte Unwahrheit einer schlecht formulierten Wahrheit vor."
Warum der Verlag auf dem Klappentext eine andere Übersetzung dieses Satzes liefert, ist schwer zu erklären. Da wird der "ehrenwerte Gesprächsstoff" als ein "ordentlicher Stoff für Unterhaltungen" angekündigt. Und die "wohlausgedrückte Unwahrheit" als "ansehnliche Lüge". Da dieser Text noch vor der Herausgabe des rumänischen Originals ("Despre Franta") übersetzt wurde, hilft vielleicht die französische Fassung von 2009: "Tandis que pour les Allemands, les banalités sont considérées comme l'honorable substance de la conversation, les Français préfèrent un mensonge bien dit à une vérité mal formulée".
Der Übersetzer, Ferdinand Leopold, liefert eine interessante Nachbemerkung am Ende des Essays: Das handschriftliche Original in rumänischer Sprache sei vermutlich die Überarbeitung einer früheren Fassung. Dennoch hat er sich dafür entscheiden, den Text unangetastet, mit allen Sprüngen, Schwankungen und Widersprüchen wiederzugeben: "Zudem legt die Erwähnung des deutschen Einmarsches in Paris (Juni 1940) nahe, dass Cioran beim Niederschreiben noch unter dem Eindruck jener Ereignisse stand".
Jérôme Pascal

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