Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik

Kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Bock, Hans Manfred (Hg.)
2005, Gunter Narr Verlag, ISBN10: 3823361813

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Rezension / Compte rendu:
Deutsch-französischer Kulturaustausch

Der mittlerweile emeritierte Kasseler Politikwissenschaftler Hans Manfred Bock beschäftigt sich schon seit mehreren Jahrzehnten in Forschung und Lehre vornehmlich mit den Kultur- und Gesellschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Schwerpunkte seiner zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem Themenfeld sind vor allem einem komparatistischen Ansatz verpflichtete Studien zu zwischen Deutschland und Frankreich vermittelnden Intellektuellen und Organisationen sowie Analyen der wechselseitigen deutsch- französischen transnationalen Perzeption in Gesellschaft, Medien und Literatur. Darüber hinaus ist Hans Manfred Bock seit vielen Jahren Mitherausgeber der Zeitschrift Lendemains, die sich der vergleichenden Frankreichforschung verschrieben hat. Seit 2005 erscheinen als Sonderhefte zu dieser Zeitschrift beim Gunter Narr Verlag die Bücher der neuen Reihe "Editions lendemains". Herausgeber dieser Reihe sind Wolfgang Asholt und Hans Manfred Bock.
Der erste Band der Reihe ist ein von Bock herausgegebener Sammelband, der zuvor bereits in französischer Übersetzung in Frankreich erschienen ist und unter dem deutschen Titel "Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik" die Beiträge eines Berliner Kolloquiums versammelt, das sich dem kulturellen Austausch und den diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich im Berlin der Weimarer Republik widmete. Der Sammelband enthält neben einem Vorwort und einem einleitenden Aufsatz von Bock über "Transaktion, Transfer, Netzwerkbildung. Konzepte einer Sozialgeschichte der transnationalen Kulturbeziehungen" insgesamt 14 weitere Beiträge deutscher und französischer Forscher unterschiedlicher kultur- beziehungsweise sozialwissenschaftlicher Disziplinen. Der Band ist in fünf Abschnitte aufgeteilt, denen jeweils zwei bis drei Beiträge zugeordnet sind.
Der erste Abschnitt heißt "Zwischen Diplomatie und Gesellschaft" und enthält Aufsätze von Katja Marmetschke über einen "Wendepunkt für die deutsch-französische Verständigung" - das Treffen zwischen dem preußischen Kulturminister (und Professor für Orientalistik) C. H. Becker und dem französischen Erziehungsminister Anatole de Monzie im September 1925 in Berlin -, von Guido Müller über "Pierre Viénot und das Berliner Büro des Deutsch-Französischen Studienkomitees" sowie von Hans Manfred Bock über "Otto Grautoff und die Berliner Deutsch-Französische Gesellschaft".
Mit "Professoren und Studenten" beschäftigt sich der zweite Abschnitt. Darin referiert Christophe Charle über die intellektuellen Netzwerke zwischen den "Zentraluniversitäten" Paris und Berlin im Zeitraum 1890 bis 1930. Johann Chapoutot berichtet über die Beziehungen des "Office National des Universités et Ecoles Françaises (ONUEF)" zu Deutschland während der Zwischenkriegszeit 1919 bis 1939. Und Dominique Bosquelle beleuchtet das französische Akademikerhaus ("Maison académique francaise") in Berlin.
"Autoren und Bücher" stehen im Fokus des dritten Abschnittes. Er enthält Aufsätze von Corine Defrance über die "Maison du livre français" in Berlin (1923-1933) und die französische Buchpolitik in Deutschland und von Susanne Pfaff über die in den Jahren 1926 bis 1934 veranstaltete französische Vortragsreihe des Berliner Romanisten (und umstrittenen Wortführers einer antagonistischen "deutsch-französischen Wesenskunde") Eduard Wechssler am Romanischen Seminar der Berliner Universität.
Der vierte Abschnitt trägt die Überschrift "Kunst und Literatur". In ihm finden sich Beiträge von François Beilecke über die Berliner Zeitschrift "Neue Rundschau" und das französische Kulturleben in der Weimarer Republik, von Alexandre Kostka über die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1919 bis 1937 und von Marc Thuret zum Thema "Französische Stücke auf Berliner Bühnen 1919-1933".
Der fünfte und letzte Abschnitt des von Bock herausgegebenen Sammelbandes ist "Neue Wahrnehmungen Deutschlands" überschrieben. Er enthält imagologisch orientierte Beiträge von Wolfgang Asholt über das Berlin Jean-Richard Blochs, von Gilbert Krebs über den französischen Deutschlanddiskurs der 1920er Jahre und von Jürgen Ritte über "Berliner Sitten im Blick französischer Reisender (1920-1930).
Ein Personenregister sucht man in dem ansonsten vorzüglich redigierten Sammelband, der einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der deutsch-französischen Kultur- und Geistesbeziehungen in der Weimarer Republik darstellt und viele Anregungen für weitere transnationale Forschungen liefert, leider vergebens.
Der zweite Band der "Editions lendemains"enthält eine Sammlung von Aufsätzen Hans Manfred Bocks über intellektuelle Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: "Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung". Es handelt sich um 14 zwischen 1988 und 2002 bereits in verschiedenen deutschen und französischen Zeitschriften und Sammelbänden beziehungsweise als Vorworte publizierte Beiträge über dem literarischen und intellektuellen Milieu angehörige Protagonisten des deutsch-französischen Dialogs. Neben einem methodologisch gewichtigen Aufsatz über Grundsätze, Möglichkeiten und Perspektiven nationenbezogener Perzeptionsforschung ("Nation als vorgegebene oder vorgestellte Wirklichkeit?"), in dem Bock unter anderem der aus der Vergleichenden Literaturwissenschaft hervorgegangenen Imagologie, wie sie insbesondere vom Aachener Komparatisten Hugo Dyserinck entwickelt wurde, methodologische Rückständigkeit vorwirft und ihr fälschlicherweise glaubt ankreiden zu können, sie beschränke sich - im Gegensatz zur von Bock vertretenen komparatistisch-sozialwissenschaftlichen nationenbezogenen Perzeptionsforschung - zu sehr auf die fiktionale Literatur, enthält der Sammelband Beiträge Bocks zu den Themenfeldern "Deutsche Frankreich-Autoren", "Französische Deutschland-Autoren" und "Deutsch-französische Debatten". Einige der Aufsätze waren bislang nur auf Französisch zugänglich und erscheinen hier erstmals in deutscher Sprache.
Im Abschnitt "Deutsche Frankreich-Autoren" analysiert Bock die Frankreich-Diskurse der allesamt noch "völkerpsychologisch" argumentierenden Publizisten Otto Grautoff und Paul H. Distelbarth sowie der Romanisten Ernst Robert Curtius und Victor Klemperer. Den vier Beiträgen über diese deutschen Frankreich-Spezialisten, von denen der Artikel über Curtius mit rund 60 Seiten den bei weiten umfangreichsten bildet, folgen sechs Aufsätze über die Deutschland-Diskurse französischer Autoren. In den Blickpunkt rückt Bock hierbei die Germanisten Henri Lichtenberger, Felix Bertaux und Pierre Bertaux sowie die Publizisten beziehungsweise Politiker André François-Poncet, Perre Viénot und Jacques Rivière.
Den Abschluss des Bandes bilden drei Aufsätze über "Deutsch-französische Debatten" in den 1920er Jahren. Bock vergleicht hier zunächst die Publizisten Friedrich Sieburg und Pierre Viénot und ihre Analysen des deutsch-französischen Verhältnisses Ende der 1920er Jahre. Sodann beleuchtet er die freundschaftliche Beziehung der Kosmopoliten Pierre Bertaux und Joseph Roth, um schließlich ein Schlaglicht auf ein zwischen 1925 und 1928 öffentlich (in der damaligen Presse) geführtes Streitgespräch zwischen Félix und Pierre Bertaux einerseits und Ernst Robert Curtius andererseits zu werfen.
Mit seinem Buch über "Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung", in dem Bock aus vielen Mosaiksteinen ein Panorama bedeutender kultureller Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwirft, hat er ein Werk vorgelegt, das zu einem Standardwerk über die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen avancieren dürfte. Man darf gespannt sein auf Hans Manfred Bocks schon seit längerer Zeit angekündigtes Buch über die Geschichte der deutsch-französischen Gesellschafts- und Kulturbeziehungen in der Zwischenkriegszeit (1919-1939), das demnächst erscheinen soll.

Horst Schmidt

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Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik