Un cœur allemand. Karl von Wendt (1911-1942)

Un catholique d'une guerre à l'autre

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Fehrenbach, Florence
2006, Editions Privat, ISBN10: 2708968580

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Rezension / Compte rendu:
Wandlung eines Nationalisten

"Veux-tu aller chercher ton grand-père?" - diese Aufforderung ihres Stiefgroßvaters war für die Französin Florence Fehrenbach der Ausgangspunkt einer doppelten Spurensuche. Ihr leiblicher Großvater, Karl von Wendt, stammte aus westfälischem Adel. Während des Zweiten Weltkrieges, den er zunächst in Frankreich, dann in Russland erlebte, schrieb er seiner Familie täglich, insgesamt über 1 000 Briefe, in denen er seine Beobachtungen und Überlegungen mitteilte. 1942 ist er in Russland gefallen, von einem Freund nach Polen gebracht und dort beerdigt worden.
Die erste Spurensuche führt Fehrenbach also in ein kleines polnisches Dorf, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann in einer Art Nacht- und Nebelaktion die sterblichen Überreste ihres Großvaters ausgräbt und nach Deutschland bringt, um ihn im Familiengrab beizusetzen. Die weitaus meisten Spuren findet Fehrenbach jedoch in der Korrespondenz ihres Großvaters. Sie hat nun eine Auswahl dieser Briefe in französischer Übersetzung in Frankreich herausgegeben, unter dem schönen Titel "Un cœur allemand".
Nach einer Einführung der Autorin über den westfälischen Landadel und seine politischen Positionen vor dem Zweiten Weltkrieg beginnt die Korrespondenz mit einem Brief vom 1. September 1939. Von Wendt geht als Unteroffizier in den Krieg und wird zunächst an den Westwall beordert. Über die Legitimation des Krieges besteht für ihn kein Zweifel. Die Liebe zum Vaterland verbindet sich für den Katholiken von Wendt mit der Liebe zu seiner Familie und einer tiefen Gläubigkeit. Über den gesamten Verlauf des Krieges fühlt er sich von Gott und der Jungfrau Maria von Einsiedeln beschützt. Auch der Krieg selbst hat für ihn gleichzeitig eine patriotische und eine religiöse Dimension: "Malgré tout", so schreibt er schon im ersten Brief und wiederholt es viele Male, "il ne manque pas à la guerre présente cette dimension sainte, c'est-à-dire ce caractère que revêt la guerre de tout un peuple pour ses droits fondamentaux." (S. 99).
Während er zunächst dem Nationalsozialismus skeptisch gegenüberstand, macht der Krieg einen bedingungslosen Nationalisten aus ihm. Die Länder durch die er kommt, zunächst Belgien und dann Frankreich, können sich in seinen Augen mit Deutschland nicht messen. Sie sind rückständig, ungepflegt und arm: "Mais tout, à la manière typiquement française, semble négligé par rapport à nos critères" (S. 133), so schreibt er, und: "c'en est fini pour toujours de la grandeur de la France." (S. 136). Im Übrigen genießt er die Zeit in Frankreich, wenn er auch seine Familie vermisst. In seinen Briefen halten sich die Sehnsucht nach Frieden, und das bedeutet Rückkehr nach Hause, und die Begeisterung für die militärischen Erfolge der Wehrmacht die Waage. England erscheint ihm als der Feind, der bezwungen werden muss, um ein politisches Gleichgewicht in Europa wieder herzustellen.
Das Frühjahr 1941 verbringt von Wendt in Polen. Die Bedingungen sind hier weniger angenehm als in Frankreich. Die relative Ruhe gibt ihm Zeit darüber nachzudenken, warum der Krieg für die Frauen daheim schwerer zu ertragen ist, als für die Männer an der Front, die ein festes Ziel vor Augen haben. Am 17. Juni 1941 bricht die Einheit nach Russland auf zu einem für Karl von Wendt "gerechten" Krieg gegen die Kommunisten. Obwohl es nun ernst wird und einige seiner Freunde fallen, bleibt Karl von Wendt Optimist. Er glaubt, dass der Krieg bald zu Ende sein wird und zwar siegreich. Vorurteile hat er auch hier: "Les rouges font des abattis sur des kilomètres en larges saignées: pas beau à voir, mais caractéristique de l'esprit prolétaire." (S. 256). Doch er beginnt über den Sinn des Krieges nachzudenken, rechtfertigt ihn aber immer noch vor sich selbst als Chance, die Gott den Völkern gibt, wieder auf den richtigen Weg zurückzufinden. Gleichzeitig wünscht er nichts mehr, als dass das grausame Spiel enden und Frieden einkehren möge.
Auf den Spuren Napoleons marschiert die Einheit in Richtung Moskau, und von Wendt schreibt: "Participer à ce cortège triomphal est vraimant un événement inouï." (S. 280). Doch der Wintereinbruch droht und muss vorbereitet werden, in jeder Hinsicht: Von Wendt und sein Cousin Georg von Boeselager beschließen, Lateinunterricht zu geben "pour l'édification du bataillon" (S. 288) und bitten darum, lateinische Grammatiken zu schicken. Ob dieser unglaubliche und doch wohl etwas realitätsferne Plan in die Tat umgesetzt wurde, ist den Briefen nicht zu entnehmen. Weihnachten 1941 hat von Wendt Urlaub, und er nutzt die Gelegenheit, illegal die Leiche seines Freundes Antonio von Boeselager nach Hause zu schaffen. Mit dem Tod dieses engen Freundes war für ihn die Grausamkeit des Krieges unmittelbar spürbar geworden.
Doch das ist nicht der einzige Grund für seine Nachdenklichkeit in den folgenden Wochen. Der Winter ist hart, die Häuser sind zerstört, Lebensmittel aufzutreiben wird schwierig. Außerdem kommt er jetzt auch mit anderen Einheiten zusammen und erkennt die unerfreulichen Seiten des Krieges: "D'un point de vue militaire, c'est l'arrière dans ce qu'il peut avoir de plus sordide, avec des soldats grande gueule." (S. 302). Oder etwas später: "J'ai vu ces derniers temps un nombre incalculable de Russes morts - vraiment, la guerre n'est pas une belle chose." (S. 311). Immer stärker rückt er von der Idee eines Eroberungskrieges ab und rechtfertigt den Krieg als christlichen Kreuzzug "contre un système qui avait brodé sur ses étendards le combat contre le Christ." (S. 350). Gleichzeitig wächst sein Verständnis für die russische Bevölkerung, denn, so sagt er in einem Gebet "nous souffrons tous énormément de cette funeste boucherie des nations." (S. 357).
Im Sommer 1941 hatte sein Onkel, Clemens-August von Galen, Bischof von Münster, seine bedeutenden Predigten gegen den Nationalsozialismus gehalten. Die Nachricht davon erreicht auch die Front und bestärkt von Wendt in seiner Skepsis. "Ces fossoyeurs que nous voyons à l'ouvrage ne réalisent-ils donc pas qu'ils creusent leur propre tombe, et qu'ils livrent notre peuple à une décadence qui doit conduire à la chute finale?"(S. 388).
Am 16. August 1942 wird Karl von Wendt verwundet und erliegt seiner Verletzung. So erlebt er nicht mehr, dass seine engsten Freunde, insbesondere Georg und Philipp von Boeselager, sich an den Vorbereitungen zweier Attentate gegen Hitler, das (verworfene) vom 13. April 1943 und das vom 20. Juli 1944, beteiligen. Florence Fehrenbach ist überzeugt, dass ihr Großvater sich ihnen angeschlossen hätte.
Das Interesse an diesen Briefen ist nicht historischer Natur. Von der Kriegsführung, gar vom Vernichtungsfeldzug gegen Russland erfährt man wenig. Interessant ist die subjektive und begrenzte Sicht auf das tägliche Leben der Soldaten und die persönliche Entwicklung des Verfassers. Von Wendt war als junger Mann, ohne Sprachkenntnisse und mit den gängigen Vorurteilen in die Länder gekommen, mit denen Deutschland Krieg führte. Man kann in den Briefen verfolgen, wie er sich langsam entwickelt, reifer und unabhängiger in seinem Urteil wird. Auch seine religiöse Haltung entwickelt sich von einem naiven Glauben, der zum Beispiel darauf baut, dass die heilige Jungfrau von Einsiedeln ihm bei der Benzinbeschaffung hilft, hin zu einer Auseinandersetzung mit tief greifenden theologischen Fragen.
Zur Rechfertigung ihres Unterfangens, diese Briefe nun zu veröffentlichen, beruft sich Florence Fehrenbach auf Sebastian Haffner, der die Analyse individueller Schicksale für die beste Methode hält, diese komplexe Epoche der deutschen Geschichte zu verstehen. Doch nicht nur unter diesem Gesichtspunkt ist das Buch lesenswert.
Renate Overbeck

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Un cœur allemand. Karl von Wendt (1911-1942)