Heinrich Heine in Paris

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Aufenanger, Jörg
2005, Dtv, ISBN10: 3423245182

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente 3/2006 

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Rezension / Compte rendu:
Der melancholische Dichter hinter der Maske des Spötters

"War ihm Paris wirklich zur Heimat geworden oder nur zum Ort seiner Existenz?" Mit dieser scheinbar so ganz nebenbei in der Mitte seines Buches über Heinrich Heine in Paris gestellten Frage rührt Jörg Aufenanger an einen, ja den wunden Punkt im Leben des zunächst umstrittenen, schließlich aber allseits verehrten deutschen Dichters und Journalisten. Beides war Heinrich Heine in der Tat, nicht nur der ironisch-sarkastische Poet, vor dem nichts sicher war, was anderen, zumal den arrivierten Bürgern seiner Zeit, heilig war, sondern auch der Journalist im Auftrag deutscher und französischer Zeitungen, der für seine - wie er sagte - "überrheinischen" Landsleute aus Paris berichtete und seinen französischen Lesern ein
anderes als das von Madame de Staël geprägte Deutschlandbild vermitteln wollte. Henri Heine, wie er von seinen französischen Freunden genannt wurde, erscheint vielen als gelungenes Beispiel deutsch-französischer Symbiose: Kurz nach der Julirevolution von 1830 in Paris angekommen, findet er auf der Flucht vor Metternich'scher Verfolgung die freie Luft zum Atmen an der Seine; die später geprägte Formel vom 'Leben wie Gott in Frankreich' nahm er selbstbewusstkokett vorweg, indem er kurz nach seiner Ankunft in der französischen Hauptstadt einem Freund schreibt, er lebe "wie Heine in Paris". - Befreit und lebensfroh, so wollte Heine sich selbst sehen, und so zeigt ihn auch der Mythos von seinem Pariser Leben. Es ist dieses Heine-Bild, das alljährlich, vor allem aber in diesem Jahr anlässlich seines 150. Todestages, viele Verehrer an sein Grab auf dem Cimetière Montmartre führt, auf dem auch außerhalb der Jubiläen meistens frische Blumen liegen.
Jörg Aufenanger revidiert den Mythos vom souveränen Spötter, dem die gallische spitze Feder eines Voltaire näher gelegen habe als die Gedankenschwere seiner romantischen Zeitgenossen; aber er beschreibt das Pariser Leben des freiwilligen Exilanten, ohne ein Denkmal vom Sockel zu stoßen oder gar die Entlarvung zum Prinzip seines Buches zu machen. Im Gegenteil: Heinrich Heine, der sich gerne selbst zum deutschen 'poète maudit' stilisierte, erscheint in all seinen Schwächen, ob in der Liebe oder in finanziellen Angelegenheiten oder aber in seinen Schwierigkeiten, Freundschaft zu schließen und zu pflegen, aber gerade in der Darstellung dieser Schwächen wird er sympathisch. Und Aufenangers Buch zeigt deutlicher als manche andere zum 150. Todestag erschienene Heine-Biographie, wie sehr die Ironie zum Palliativ für Heine wird, der das Leben genießen will, aber an ihm leidet. So wird die geistreiche Ironie immer öfter zu dem, was Friedrich Nietzsche später Heines "göttliche Bosheit" nennen sollte (und wofür er ihn bewunderte); sie ist wohl auch der Grund, weshalb so viele Freundschaften zerbrechen: Alfred de Musset, Théophile Gautier, Franz Liszt, Alfred de Vigny, Eugène Delacroix und viele andere, die zum 'Tout Paris' gehörten, lernte Heine kennen und stieß sie mit seinem Sarkasmus ab. Das Bild des kalten Spötters pflegte der deutsche Dichter an der Seine ganz bewusst, und so ist es kaum verwunderlich, dass der einzige Mensch, der es bis zum Schluss mit ihm aushielt, seine Frau Mathilde war, die für Heine, ähnlich wie Christiane für Goethe, gar nicht erst als intellektuelle Konkurrenz infrage kam. Dabei hinderten ihn die Liebesschwüre für Mathilde keineswegs daran, um die Gunst namenloser Grisetten oder auch prominenter Frauen wie George Sand mit wechselndem Erfolg zu werben. Offenbar versprach er sich neben dem sinnlichen Abenteuer auch gesellschaftliche Anerkennung von einer entsprechenden Liaison, so wie ihm Jahre zuvor die Taufe vor allem ein Entrée-Billet in die bürgerliche Gesellschaft bedeutet hatte. Aber "[e]ine Liebesliaison in die mondäne Welt hinein war ihm nicht geglückt." (S. 58). Gegenüber mindestens einer der von ihm Angebeteten, der Prinzessin Cristina di Belgiojoso, die 1848 in den revolutionären Unruhen in Neapel zur Volksheldin werden sollte, scheint er sich unverhohlen offenbart zu haben: "Heine sagte mir, man könne nur mit dem Kopf und den Sinnen lieben und das Herz bedeute in der Liebe wenig." (S. 82).
Dafür offenbar umso mehr die Sprache: Bis zu seinem Tode litt Heinrich Heine darunter, dass ihm das so geliebte Französisch letztlich eine Fremdsprache blieb: "Glauben Sie mir", schreibt er ein Jahr vor seinem Tod an seinen Pariser Verleger Michel Lévy, "dass die arme deutsche Nachtigall, die ihr Nest in der Perücke des Monsieur Voltaire gebaut hat, sich sehr unbehaglich fühlt." (S. 145/146). Jörg Aufenanger zeichnet in seiner Beschreibung des Pariser Lebens von Heinrich Heine das Bild eines in tiefster Seele unglücklichen Menschen, der sich selbst und anderen den Schein mediterraner Heiterkeit vorspielt, in stillen Stunden aber das Idealbild als Trugbild des eigenen Lebens erkennt. Und diese stillen Stunden kamen nicht erst mit der Krankheit, die ihn ab 1848 für die restlichen acht Jahre seines Lebens ans Bett fesselt. Dabei wurde 1848 für ihn in doppelter Hinsicht zum Schicksalsjahr: Gleichzeitig mit dem Ausbruch der Krankheit bricht für ihn eine Welt zusammen, in der er sich vortrefflich eingerichtet hatte, ohne dass seine französischen und deutschen Bewunderer davon allzuviel mitbekommen hatten. Denn Heinrich Heine hat nicht nur eine großzügige Apanage seines reichen Hamburger Onkels bezogen, sondern eine nicht minder generöse Pension des französischen Staates und seines Königs Louis-Philippe. Als dieser stürzte, musste sich Heine von manchem der Sympathisanten der '48er Revolution höhnisch fragen lassen, ob er dieses Geld für das bekommen habe, was er geschrieben, oder für das, was er nicht geschrieben hatte.
Natürlich gießt Jörg Aufenanger Wasser in den Wein derer, die zum Grabe Heines pilgern, um dort den fortschrittlichen Bewunderer der Juli-Revolution, den Freund von Karl Marx und Gegner Metternichs oder den spöttischen Religionskritiker zu ehren. Sätze wie die von seiner "Furcht vor dem Greul einer Proletarierherrschaft" (S. 94) sind in der Tat geeignet, die Ikone von Freiheitskampf und Fortschrittsglauben zu zerstören. Dafür zeigt Aufenangers Buch über Heines Pariser Jahre hinter dem scharfsinnigen Spötter und Journalisten den großen Dichter, dessen Melancholie aus seiner inneren Zerrissenheit erwuchs - die eben auch eine Zerrissenheit zwischen zwei Ländern war. Wenn Frankreich "am Ende unseres Herzens nichts anderes als ein französisches Deutschland" (S. 85) ist, dann bleibt Paris für Heine offenbar ein Ort, der die Sehnsucht, das Grundmotiv in Heines Pariser Jahren, keinesfalls stillen kann - die Sehnsucht nach Heimat. Heimat war für Heinrich Heine aber nicht nur ein geographischer Begriff, sondern immer auch ein religiöser: Seine jüdische Identität, die er in seinen ersten Pariser Jahren gerne ignorierte, prägt am Ende immer stärker das Sehnsuchtsmotiv und äußert sich nicht nur in den "Hebräischen Melodien". "Sehnen und Verlangen" tauchen bereits in den "Nachtgedanken" auf, die oftmals geradezu epigrammatisch auf die beiden Eingangsverse reduziert und damit verfälscht werden, genauso wie in dem in der Matratzengruft entstandenen Gedicht über das unbestimmte Jenseits, das sich hinter der Chiffre 'Bimini' verbirgt.3 Und diese Dichtung bedeutete für Heine mehr als Reportage und Aufklärung über "Pariser Zustände", mehr aber auch als Ironie: Dichtung war ihm die Vorstufe zur Musik, so dass er (in "Lutetia", hier S. 80) schreibt: "Die Musik ist vielleicht das letzte Wort der Kunst, wie der Tod das letzte Wort des Lebens."
Leider fehlen in Jörg Aufenangers Buch die Textbelege; gerne würde der Leser den Kontext mancher der zitierten Briefpassagen und Aussagen (ehemaliger) Freunde und Bewunderer Heines lesen oder zumindest kennen; und dass der Palais Royal zur ehemaligen Königsresidenz gemacht wird, der er ja nie war, und die Revolution von 1830 einmal in den Februar verlegt wird, sind nur kleinere Flüchtigkeiten, die dem Lektor entgangen sein mögen. "Heinrich Heine in Paris" ist ein großartiges Buch, weil es den suchenden, den fragenden, den sehnsüchtigen Menschen hinter der Maske des souverän-distanzierten Spötters wiederentdeckt, die Heine sich selbst so gern aufgesetzt hat und die ihm viele seiner Bewunderer auch heute noch so gerne aufsetzen.

Clemens Klünemann

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