Ramon

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Fernandez, Dominique
2009, Editions Grasset & Fasquelle, ISBN10: 2246739411

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente 5-6/2009  

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Rezension / Compte rendu:
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Der Fall ist seltsam, vergleichsweise einzigartig. In den 1930er-Jahren war Ramon Fernandez (1894-1944) ein bekannter französischer Literaturkritiker, Schriftsteller und Intellektueller, seine Bücher waren allgemein hoch angesehen (1932 erhielt er den "Prix Femina" für seinen Roman "Le Pari"), der Mann verkehrte in den wichtigsten literarischen Kreisen, traf sich mit den berühmtesten Autoren der Zeit, so mit Gide, Paulhan, Malraux oder Saint-Exupéry. Privat galt er als frivoler Lebemann, als einer, der die schönen Dinge - Frauen und vor allem seinen Bugatti - liebte. Alle Ingredienzien für eine glamouröse Biografie oder Karriere wären jedenfalls vorhanden gewesen - hätte Fernandez sich nicht fatalerweise über die Jahre sukzessive allen politischen Lagern, von ultralinks bis ultrarechts, verschrieben. So wurde aus dem vermeintlichen Star eine schillernde Persönlichkeit; sein Abstieg, vom jeweils feindlichen Lager hämisch kommentiert, war unausweichlich. Vor allem sein Ende ist unrühmlich. Ramon Fernandez - die Familie war mexikanischer Herkunft und ab 1919 in Frankreich naturalisiert - schien auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, galt aber, vor allem politisch, als labil. Er schwenkte von den Sozialisten hinüber zu den Kommunisten, driftete dann ab nach rechts außen und landete schließlich, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, gleich ganz außerhalb des politischen Spektrums, nämlich mittendrin in der Kollaboration.
Der 1929 geborene Sohn Dominique Fernandez, in Deutschland ein wenig bekannt geworden mit seinem Roman "Die Schule des Südens" (1993), hat nun die Geschichte seines Vaters aufgezeichnet, wobei er das Ganze weder als Hagiographie noch als Abrechnung verstanden haben will, aber deutlich sagt: "Je suis né de ce traître" (ich stamme ab von diesem Verräter). Die Frage, um die sich hier alles dreht und die im Laufe des Buches auch immer wieder gestellt wird, lautet: wie war ein solcher Werdegang überhaupt möglich? Man merkt dem Verfasser immer wieder eine gewisse Ratlosigkeit an, denn so wortreich er die Zusammenhänge auch aufzutischen vermag, vollkommen aufklären kann er sie nicht. Vater Ramon ist beschrieben als "homme pressé", hyperaktiv in seiner beruflichen Zielsetzung, aber auch als ein Epikuräer erkennbar, der zu leben versteht; als ausgewiesener "Schürzenjäger" freilich ruiniert er seine Ehe. "Messages", ein erstes Buch über Balzac, erscheint 1926. Ramon verfasst im Folgenden literaturwissenschaftliche Bücher über Molière, nochmals über Balzac und über Gide, und später, mitten im Krieg, ein Buch zu Marcel Proust (der ihn noch höchstpersönlich bei Gallimard eingeschleust hatte). Er publiziert regelmäßig in diversen Periodika, gleich von Beginn an etwa in Emmanuel Berls "Marianne", dann auch in der NRF, der Hauspostille Gallimards. Immer wieder trifft man sich in illustren Kreisen zum gemeinsamen Abendessen.
Nicht weniger als 800 Seiten verwendet Dominique Fernandez darauf, ein von den Geschichtsbüchern zwar nicht komplett abweichendes, aber doch differenzierteres Bild seines Vaters abzuliefern. Mit der Aufzeichnung der Verstrickung von Intelligenz und politischem Engagement anhand einer konkreten Figur steuert er einen insgesamt sehr lesenswerten Beitrag zur französischen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts bei. Er klagt für seinen Vater keine mildernden Umstände ein und will ihn keinesfalls nachträglich freisprechen. Ohnehin sei die Beziehung zu ihm nicht durch wechselseitige Liebe oder Empathie gekennzeichnet gewesen. Ramon konnte mit seinen beiden Kindern (es gab da noch eine Schwester) nichts anfangen - es fanden in der Familie keine Kinogänge statt, kein Theaterbesuch, keine Einladungen ins Restaurant. Dieser Vater interessierte sich auch nicht für die schulischen Leistungen seines Sohnes, sondern kreiste im Grunde nur um sich selbst.
Doch seine politischen Interventionen sind spektakulär. 1933 ist Ramon voller Begeisterung für die UdSSR, der linke Schriftsteller Jean Prévost hatte ihn zuvor schon an die französischen Sozialisten herangeführt, 1934 schließt er sich gleich zwei antifaschistischen Organisationen an, und kein Geringerer als André Gide - Inbegriff intellektueller Instanz in den 30ern - kommentiert das gleich hocherfreut, Paul Nizan meldet sich gar aus Moskau und beglückwünscht ihn zu seinem Schritt. Ramon Fernandez unterzeichnet, etwa an der Seite von Julien Benda, André Breton oder René Crevel, Appelle und Petitionen - um dies kurze Zeit später zu konterkarieren. So verlässt er die eine Organisation, weil er gegen die dort geforderte "Gedankenunterwerfung" protestiert. Dies aber sei, so Dominique Fernandez, ein erster entscheidender Hinweis in der Bewertung seiner politischen Orientierungen gewesen: ein einzuklagender, verbleibender Rest Freiheit, der ihn gegen den Vorwurf des reinen politischen Opportunismus feit.
An dem berühmten "Congrès international des écrivains pour la défense de la culture", 1935, nimmt er interessanterweise nicht teil, dabei ist dort fast die gesamte linke Prominenz aufmarschiert. "Il commence à se désengager", heißt es, er löse sich allmählich von der Linken, die "Internationale der Arbeiter" sei falsch und rhetorisch, heißt es von Ramon pauschal. Immer wieder scheint psychologische Instabilität ihren Niederschlag im politischen Mäandern dieses Mannes gefunden zu haben, vielleicht wollte Ramon gerade deshalb den Anschein erwecken, stets auf der jeweilig richtigen Seite zu stehen - der des Siegers. Er wird Mitglied des "Parti populaire français" (PPF) des rechtsextremen Jacques Doriot.
Die Hinwendung zum PPF und dem Faschismus überhaupt sei aber vor allem eine Revanche für verpasste Träume im Privaten gewesen, kurzum: eine Frustreaktion, "seine Natur, das familiäre Scheitern, das Wiederherstellen seines Selbstwertgefühls, trieben ihn dorthin." Erwähnenswert, dass er allerdings nie mit dem kruden Antisemitismus eines Céline kokettierte, dessen widerliche Schmähschrift "Bagatelles pour un massacre" er in einen empörten offenen Brief gleich rundum verurteilte.
Dennoch bleiben biografische Unbestimmtheiten bestehen, Unklarheiten gar noch in den vermeintlich klarsten Dingen: Zwar macht Ramon Fernandez im Oktober 1941 die berühmte Reise ausgesuchter französischer Intellektueller nach Weimar mit (u. a. zusammen mit den ausgewiesenen Kollaborateuren Brasillach und Drieu la Rochelle), hält sich hernach in seinen Kommentaren und Bewertungen aber auffallend zurück. Gerade dieses Schweigen, auch das offensichtliche Augenverschließen vor der Existenz der KZ sowie die merkwürdig stille Bewunderung für Goebbels, machen ihn zum Kollaborateur, Dominique Fernandez' auffällige Unterscheidung in "aktiv" oder "passiv" erscheint da etwas müßig - ebenso die Bewertung, sein Vater habe "nolens volens" mit Hitlers Ideen paktiert. Es ist die Schizophrenie dieses Mannes gewesen, objektiv als Kollaborateur angesehen worden zu sein ohne der Kollaboration praktisch - etwa durch klar engagierte Stellungnahmen - angehört zu haben.
Dazu passt, dass Ramon 1943 seine Studie über Proust veröffentlichte - ausgerechnet über Proust, den Juden, Homosexuellen und "Décadent", einen Mann, der bei den Faschisten gleich dreifach als "maudit" (verflucht) galt. Er entgeht seiner Niederlage nicht, und er gesteht sie sich ein. In der Lesart des Sohnes lechzte er geradezu nach Verachtung und Verdammung. Ramon fängt an zu trinken, verfällt bald ganz dem Alkohol. Eine Thrombose und am Ende eine Embolie raffen ihn dahin, er stirbt, 50-jährig, am 2. August 1944. Ein Strafbefehl wegen Kollaboration sollte ihm übrigens erst drei Monate nach seinem Tod zugestellt werden.
Thomas Laux

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