Caricaturer Dieu?

Pouvoirs et dangers de l'image

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Boespflug, François
2006, Bayard, ISBN10: 2227476141

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente 6/2008 

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Rezension / Compte rendu:
Satire und Gewalt

In Frankreich, wo sämtliche dänischen Mohammed-Karikaturen in den auflagenstarken Zeitungen "France-Soir" und "Charlie Hebdo" erschienen sind, gab es die qualitativ wie quantitativ bedeutendste öffentliche Diskussion zum Karikaturenstreit - inklusive eines Prozesses islamischer und islamistischer Vereinigungen gegen "Charlie Hebdo", der auch in zweiter Instanz mit einem Freispruch endete. Aus Frankreich kommt auch die gründlichste Aufarbeitung der Debatte in Form von drei Neuerscheinungen und einem Comic, der den Verlauf des ersten "Charlie-Hebdo-Prozesses" sehr genau nachzeichnet. Im Nachbarland fand damit eine breite und seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema statt, mit der zaghafte deutschsprachige Aufarbeitungsver-suche nicht mithalten können.
Die grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Mohamed Sifaoui und Jeanne Favret-Saada besteht in der Ablehnung jeglicher Schuldzuweisung an den dänischen Staat und den Auftraggeber der Karikaturen, die größte dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten". Die Ethnologin Favret-Saada bettet ihre Darstellung in den Kontext der Entwicklung der dänischen Demokratie ein, in ein tolerantes Klima mit ausgesprochener Offenheit für die Probleme der Länder des Südens. Nicht zuletzt unterstreicht sie, dass der indirekte und unwillentliche Mitverursacher der Affäre, der Jugendbuchautor Kare Bluitgen, sich stets ausgesprochen differenziert mit der Dritten Welt auseinandergesetzt hat. Die Tatsache, dass er keinen Illustrator für seine Mohammed-Biografie fand, veranlasste "Jyllands-Posten" zur Ausschreibung eines Karikaturistenwettbewerbs mit dem Titel "Das Gesicht Mohammeds". Es ging dabei um die Auseinandersetzung mit einem Tabu - ein Satirethema par excellence -, nicht um einen vermeintlichen Kampf gegen den Islam. Auch die verschiedentlich vorgenommene oder zumindest suggerierte Einordnung der Veröffentlichung der Karikaturen in eine Art ausländerfeindliche Verschwörung, als dessen Sprachrohr die Tageszeitung fungiert haben soll, wird von beiden Autoren mit überzeugenden Argumenten zurückgewiesen. Beide beziehen ihre detaillierten Kenntnisse nicht nur aus gedruckten Quellen, sondern haben sich längere Zeit in Dänemark aufgehalten und dort einschlägige Gespräche geführt.
Mohamed Sifaoui, der als investigativer Journalist mit dem Schwerpunkt islamistische Gruppierungen arbeitet, ist es dabei gelungen, vorübergehend das Vertrauen islamistischer Imame zu erwerben. Dadurch kann er mit besonderer Überzeugungskraft darstellen, in welchem Ausmaß die gesamte Weltöffentlichkeit von diesen Kreisen manipuliert wurde, insbesondere jedoch die Bevölkerung in überwiegend islamischen Ländern. Es wurde nicht hinreichend darüber informiert, dass die größte Aufregung von Bildern ausgelöst wurde, die nie in "Jyllands-Posten" erschienen sind und die zum Teil noch nicht einmal den geringsten Bezug zum Propheten Mohammed aufweisen. Was aber sollen Mäßigungsappelle an Karikaturisten bewirken, wenn die selbsternannte Gegenseite mit manipulierten Dossiers durch die Welt reist und schlecht informierte Bevölkerungsteile aufhetzt? Wenn er solche Manipulationspraktiken anspricht, gerät Sifaoui, der sich als Moslem und engagierten Vertreter eines säkularen Islam zu erkennen gibt, in eine Art laizistisch-heiligen Zorn; er greift dann auch zu gezielt polemischen Formulierungen. Dies tut jedoch der Wirkung seiner unvergleichlich erhellenden und authentischen Ermittlungen in Dänemark keinen Abbruch.
Die nüchterner schreibende Jeanne Favret-Saada erwähnt ebenfalls diverse Manipulationen und überzeugt darüber hinaus mit einer Analyse der politischen Interessen einiger Regierungen im Nahen und Mittleren Osten. Verdienstvollerweise hat sie sich auch mit der Reaktion europäischer und internationaler Organisationen auf die Debatte befasst und kommt dabei zu dem Schluss, dass die dänische Regierung nicht nur von der UNO, sondern auch von der Europäischen Union nicht die Unterstützung erfahren hat, die sie erwarten durfte. Die Regierung Rasmussen vertrat von Anfang an den Standpunkt, in einem Land der Pressefreiheit sei die Regierung nicht verantwortlich für das Vorgehen eines Presseorgans und könne sich dafür also auch nicht entschuldigen. Aufgrund mangelnder internationaler Solidarität konnte das kleine Land diese klare Position jedoch nicht durchhalten.
Dem Band von Joann Sfar kommt das Verdienst zu, den Ablauf der Affäre in komprimierter Form ins Gedächtnis zu rufen und ihn durch Originalzitate der Hauptakteure und wichtige Quellen anschaulich zu machen, ohne dabei den Anspruch auf "Objektivität" zu erheben. Auch er macht deutlich, dass es für ihn in der Frage der Pressefreiheit keine Kompromissmöglichkeiten gibt.
Eine Sonderstellung nimmt das Buch von François Boespflug ein. Der Autor ist Professor für Religionsgeschichte in Straßburg (Spezialgebiet: religiöse Ikonografie) und Dominikanerpater. Er stellt die Debatte in den großen Zusammenhang der Problematik des Umgangs mit dem Bild in den drei großen abrahamischen Monotheismen. Als Kenner der Materie gelingt ihm ein Abriss der Problematik, der eine differenzierte Betrachtung des Karikaturenstreits gestattet. Zu den wertvollen Aspekten seiner Herangehensweise gehört auch eine kleine Geschichte des Umgangs mit christlichen Symbolen durch Satire und Werbung. Boespflug straft mit seinen Beispielen alle diejenigen Lügen, die selbst in illuster besetzten Kolloquien - wohl wider besseres Wissen und aus fatalem Anbiederungsdrang - behauptet haben, die Mohammed-Karikaturen wären Ausdruck einer Haltung, die niemand gegenüber der Mehrheitsreligion, dem Christentum, einzunehmen wagte. Er hat Verständnis für Menschen, die sich durch die eine oder andere Darstellung in ihrem Glauben verletzt fühlen, und appelliert daher an die Zeichner, sich eine gewisse Selbstzensur aufzuerlegen. Dieser problematische Begriff verlangt nach genauer Lektüre: Wer Boespflug sorgfältig liest, wird feststellen, dass er damit keinesfalls die Verinnerlichung gesellschaftlicher oder gar politischer Verbote meint. Der Autor appelliert vielmehr an das individuelle Verantwortungsbewusstsein, an ein Berufsethos; er ist aber meilenweit davon entfernt, nach Sanktionen oder Beschränkungen für eine freie Presse zu rufen.
Die Quintessenz aus diesen in sich sehr unterschiedlichen Publikationen kann nur in einem Engagement für einen offenen Dialog der Kulturen bestehen. Für diesen kann es nur von Nutzen sein, wenn alle zur Diskussion stehenden Probleme und Prinzipien klar benannt werden. Die Pressefreiheit kann dabei nicht zur Disposition stehen. Wer in dieser Frage zu Kompromissen bereit ist, erweckt zu Unrecht den Eindruck, dass von dänischer - und dann auch von französischer - Seite schwere Fehler gemacht wurden und rechtfertigt damit letztlich - gewollt oder ungewollt - Gewalt und Aggression.
Walther Fekl

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Caricaturer Dieu?