1940 - L'année noire

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Azéma, Jean-Pierre
2010, Fayard, Paris 2010, ISBN10: 2213654522

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 3/2010 

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Rezension / Compte rendu:
Annus terribilis

Vor siebzig Jahren erlebte Frankreich mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris (am 14. Juni) und der Besetzung großer Teile des Landes den dunkelsten Moment in seiner neueren Geschichte. Im kollektiven, kulturellen oder auch, je nach Lehrmeinung, kommunikativen Gedächtnis der Nation ist indes lange Zeit (und "post festum") vor allem das haften geblieben, was sich nachträglich, mitten in der Katastrophe, als "Rettendes in der Gefahr" herausstellen sollte, der "Appel du 18 juin" des Generals Charles de Gaulle. Diesem Appel und seinem Verfasser gilt denn auch ein Großteil der Publikationen, die anlässlich des 70. Jahrestages der Niederlage in die französischen Buchhandlungen gekommen sind.
Allein, der visionäre Appel, der am 18. Juni von BBC London ausgestrahlt wurde, war damals alles andere als ein historisches Ereignis, von dem diejenigen, die die Tage des Zusammenbruchs erlebt haben, sich, wie Goethe in Valmy, hätten sagen können : "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und Ihr könnt sagen, Ihr seid dabei gewesen!" De Gaulles Aufruf zum Widerstand und seine vier Tage später ebenfalls von der BBC ausgestrahlte Verurteilung des von der Regierung Pétain unterzeichneten Waffenstillstandsabkommens zu deutschen Bedingungen haben nur die wenigsten Franzosen gehört (siehe das Dossier über Widerstand in Dokumente/Documents 2/2010).
Sie waren, inmitten der Auflösungserscheinungen der Dritten Republik, des militärischen Debakels, des chaotischen "Exodus" der Pariser und anderer Nordfranzosen Richtung Süden, mit anderem beschäftigt, mit den naheliegendsten Fragen des Überlebens.
Mit solchen Beobachtungen sollen Haltungen und Entscheidungen der einen und der anderen nicht relativiert und/oder entschuldigt oder gar gerechtfertigt werden. Aber gerade dem Historiker jener konfusen Zeit muss daran gelegen sein, nicht von der "höheren Warte" der Nachgeborenen aus ein binäres Schwarz-Weiß-Gemälde anzulegen, er muss sich, wie Jean-Pierre Azéma in seiner magistralen Darstellung des Jahres 1940 festhält, für die Ambiguitäten, für die Grauzonen interessieren, für Hegels "Fächer der Möglichkeiten", der sich zu einem bestimmten Zeitpunkt den Handelnden und Erleidenden öffnet. Und das heißt : Er muss, wie Azéma gleich im Vorwort zu seinem 450 Seiten starken Werk unterstreicht, "diese Vergangenheit so darstellen, als kennten wir die nachfolgenden Ereignisse nicht und dabei der Versuchung widerstehen, sich allein auf die Analysen der Historiker zu verlassen und darüber hinwegzusehen, wie die Menschen die Geschichte erlebt haben, von der sie nicht wissen konnten, wie sie einmal ausgeht".
Kein leichtes Unterfangen, es ist dies sogar ein nach wie vor sehr delikates Unterfangen, denn die Geschichte der Années noires, und vor allem dieses ersten schwarzen Jahres, ist seit der Befreiung Frankreichs im Jahre 1944 immer wieder - und vor allem - von den Zeitzeugen, den Akteuren erzählt worden, wobei diejenigen, die, vom glücklichen Ende her gesehen, von Anfang an Recht hatten (oder sich auf die Seite derjenigen schlugen, die nachträglich Recht behalten sollten), den mehr oder weniger offiziellen französischen Geschichtsdiskurs über Jahrzehnte nachhaltig beeinflussen sollten.
Mit anderen Worten: Die Geschichte und eben auch diese Geschichte ist von den Siegern erzählt worden, sie eroberten sich mit dem Sieg über Hitler-Deutschland und das französische Kollaborations-Regime von Vichy die "Diskurshoheit" über die Geschichte. Eine solche Feststellung hat nichts mit Revisionismus zu schaffen - Jean-Pierre Azéma, Emeritus an Sciences Po in Paris und "homme de gauche" (politisch links engagiert) ist dessen gänzlich unverdächtig -, aber sie fordert, will man denn, wenn auch nur annährend, wissen, wie es "wirklich gewesen ist" (Ranke), dazu auf, die verschiedenen Optionen zu rekonstruieren, die sich zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt boten, und die Motivationen der einen und der anderen in ihrem Kontext zu verstehen (und nicht unbedingt zu exkulpieren).
Hierzu zwei von den vielen Beispielen, die Azéma anführen kann : Raymond Aron konnte nach dem Krieg, mit seiner Autorität als "résistant" behaupten, der greise Marschall Philippe Pétain sei nur ein Werkzeug in den Händen des wieseligen Advokaten Pierre Laval gewesen. Die Wahrheit ist, dass Pétain, bis in die Knochen antirepublikanisch und vor allem antiparlamentarisch gesinnt, sein Programm der "révolution nationale (Travail-Patrie-Famille) höchstselbst in die Tat umgesetzt hat (inklusive seiner nachfolgenden "Juden-Dekrete")", als er am 10. Juli 1940 auf juristisch windigste Art (darin in der Tat von Laval unterstützt), die Dritte Republik außer Kraft setzte und statt dessen ein ein autoritäres, allein auf seinem Charisma beruhendes Regime inaugurierte, das die Kollaboration mit den Deutschen ausdrücklich wollte. Aber Raymond Aron - und mit ihm die Verteidiger des "Maréchal" - öffneten mit dieser Lesart all jenen (und der Mehrheit der Franzosen des Jahres 1940) einen Wiedereinstieg in die Republik, die an den Heilsbringer Pétain geglaubt hatten.
Als "Anti-Petainisten" der ersten Tage, dies das zweite Beispiel, gaben sich nach dem Krieg die Mitglieder der Kommunistischen Partei Frankreichs. Mit Recht. Aber von August 1939 bis Juni 1941 (Hitlers Überfall auf die Sowjetunion) hatte die Partei den Hitler-Stalin-Pakt zu rechtfertigen und sich dementsprechend zu positionieren. Auf Geheiß der Komintern tat sie dies, indem sie den Krieg als einen "Krieg zwischen Imperialisten" deklarierte, der sie und die Arbeiterklasse nichts anginge. Folgerichtig setzte die "Partei der Füsilierten" mit all ihrem kulturellen Gewicht als Partei des Widerstands nach der Befreiung die zum Teil bis heute geglaubte Lesart durch, die Niederlage Frankreichs sei von der "Bourgeoisie" gewünscht gewesen.
Jean-Pierre Azéma, unstreitig einer der größten Spezialisten für die Geschichte jener Jahre, umgeht all diese politischen Klippen, die sich auch heute noch auftun. Seine Erzählung geht in 34 Kapiteln chronologisch vor und lässt, getreu dem im Vorwort angekündigten Programm, es nicht besser wissen zu wollen als die Menschen damals, alle Optionen zu Wort kommen, bevor er sie quellenkritisch kommentiert. Das ist, von der Vorgeschichte der Kriegserklärung über die Auflösung der Republik bis zu den ersten Widerstandsakten im November 1940, kein leichtes Programm. Aber es gelingt Azéma das Kunststück, trotz aller Komplexität der Ereignisse, eine passionierende und vor allem: sehr gut lesbare, auf jeder Seite nachvollziehbare Geschichte des Jahres 1940 vorzulegen. Eine Geschichtslektion, der man viele Nachfolger wünscht.
Jürgen Ritte

L'année 1940 en librairie
De nombreux ouvrages sont publiés cette année en France pour revenir sur l'année 1940 (voir la liste de quelques-unes des principales publications, page 60 à la fin de l'article sur le Mont-Valérien).
Pour enrichir le dossier du dernier numéro de Dokumente/Documents, consacré à la Résistance, nous proposons quelques comptes rendus de lecture, qui devraient permettre aux lecteurs de compléter leurs connaissances sur cette année si chargée d'histoire : « 1940 - L'année noire » de Jean-Pierre Azéma, « L'Exode - un drame oublié » d'Eric Alary,                   « Edelkomparsin » de Hilde Stieler et « Le Naufrage, 16 juin 1940 » d'Eric Roussel. Le petit livre de E. M. Cioran qui vient d'être traduit en allemand,      « De la France », même s'il ne décrit pas les événements de ces années tragiques, a été écrit sous leur influence.
De nombreux autres livres sont édités cette année sur le 120e anniversaire de la naissance de Charles de Gaulle (22 novembre 1890) et le 40e anniversaire de sa mort (9 novembre 1970).
Réd.

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1940 - L'année noire