Deutsch-französische Geschichte

1945 bis 1963

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Defrance, Corine; Pfeil, Ulrich
2009, WBG, ISBN10: 3534147081

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 4/2012 

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Rezension / Compte rendu:
Deutsch-französische Geschichte
Ein bilaterales Gemeinschaftsprojekt setzt Maßstäbe

Die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen wird derzeit in zahlreichen Festveranstaltungen verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Auch die beiden letzten Bände der Deutsch-französischen Geschichte grenzen ihren Betrachtungszeitraum mit dem Elysée-Vertrag und dem Jahr 1963 voneinander ab.

Die Autoren betonen bereits in ihren Einleitungen, dass dem Vertrag erst in der Rückschau eine entsprechend symbolkräftige Rolle zuerkannt wurde, die ihn heute zu einem zentralen deutschfranzösischen Erinnerungsort macht. Aufgrund dieser herausragenden Rolle, die dem Elysée-Vertrag im Nachhinein politisch zugesprochen wurde, ist es daher verständlich, dass die vom Deutschen Historischen Institut (DHI) in Paris herausgegebene elfbändige Reihe zur Deutsch-französischen Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, welche auf deutsch und französisch erscheint und die aktuellen Forschungen aus beiden Ländern berücksichtigt, das Jahr 1963 als Zäsur für die beiden letzten Bände nimmt. Alle Bände der Reihe sind gleich aufgeteilt und folgen damit einem Schema, das sich in den letzten Jahren für zahlreiche Handbücher bewährt hat: Im ersten Kapitel wird ein Überblick über die Ereignisse der behandelten Epoche gegeben, darauf hin werden unter dem Titel Fragen und Perspektiven die wissenschaftliche Aufarbeitung und der aktuelle Stand der Forschung vorgestellt, ehe in einem dritten Abschnitt eine ausführliche, thematisch gegliederte Bibliographie folgt. Am Ende der Bände finden sich außerdem eine Zeittafel und Kartenmaterial. Dank dieser Gliederung eignen sich die Bände nicht nur für den Einsatz in Schule und Studium, sondern auch als solide Nachschlagewerke. In zwischen sind neun Bände erschienen, di e mit Sicherheit neue Maßstäbe für die künftige Betrachtung binationaler und transnationaler Beziehungen setzen.
Corine Defrance und Ulrich Pfeil, die Autoren des zehnten Bandes, befassen sich mit dem Zeitraum zwischen 1945 und 1963. Als Verfasser zahlreicher einschlägiger Publikationen sind sie dafür bestens qualifiziert, was sie bereits in dem Überblick zu den Ereignissen jener Jahre unterstreichen, in welchem die bilateralen Beziehungen in die jeweiligen nationalen Entwicklungen, aber auch in den internationalen Kontext eingebettet werden. So werden Grundstimmungen in beiden Bevölkerungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit, wie das Streben nach wirtschaftlichem und politischem Wiedererstarken und das Bedürfnis nach moralischer Selbstvergewisserung und politischer Säuberung, ebenso herausgearbeitet wie die zentralen Entwicklungen des Kalten Krieges, welche den deutsch-französischen Annäherungsprozess begleiteten. Defrance und Pfeil verdeutlichen damit, dass der in nur achtzehn Jahren vollzogene Weg von der hasserfüllten Feindschaft im Jahre 1945 bis zum 1963 unterzeichneten "Freundschaftsvertrag" auf verschiedenen politischen und soziokulturellen Faktoren beruhte. Überzeugend gelingt der Nachweis, wie sich die deutsche und die französische Gesellschaft im Laufe der 1950er-Jahre kontinuierlich aneinander annäherten, so dass die engen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verbindungen den Rahmen für die zunehmende politische Kooperation vorgaben und diese begünstigten (vgl. Dokumente/Documents 2/2012). Andererseits wirkte sich die politische Kooperation wiederum positiv auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verbindungen aus. Aufgrund der souveränen Verknüpfung von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen mit dem politischen Annäherungsprozess entsteht ein vielschichtiges Bild der Entwicklung, die schließlich zum Abschluss desm Elysée-Vertrages führte. In diesem Sinn stellt der Vertrag nicht den Auslöser, sondern viel eher das Resultat einer engen Kooperation dar. Im Kapitel Fragen und Perspektiven werden die wichtigsten Forschungsergebnisse zur deutschfranzösischen Geschichte der Jahre 1945 bis 1963 vorgestellt, wobei insbesondere die Kontroversen um die französische Besatzungspolitik, die zivilgesellschaftlichen und soziokulturellen Beziehungen sowie das Dreiecksverhältnis zwischen Frankreich der Bundesrepublik und der DDR detailliert aufgearbeitet werden. Darüber hinaus wird aber auch die Perzeption des Nachbarn und die Rolle der Geschichtswissenschaft hinterfragt, wobei deutlich wird, in welch starkem Maße die Stereotypen der Abgrenzung, wie der Mythos vom "Erbfeind", durch Symbole der Aussöhnung, wie der gemeinsame Gottesdienst von Adenauer und de Gaulle in Reims oder die Vertragsunterzeichnung von 1963, abgelöst wurden. Die visuelle Inszenierung der deutsch-französischen Freundschaft war dabei häufig auch ein Hilfsmittel dafür, um die nationalen Dunkelstellen im Verhältnis der beiden Völker ausblenden zu können. Das hohe Niveau des zehnten Bandes setzt sich in dem elften und letzten, von Hélène Miard- Delacroix verfassten Band der Reihe, fort. Als herausragende Kennerin der deutsch-französischen Nachkriegsgeschichte versteht sie es, den Zeitraum von der Vertragsunterzeichnung  im Januar 1963 bis zur Finanzmarktkrise im Spätsommer 2008 als einen fortwährenden Verflechtungsprozess darzustellen und wirft dabei zahlreiche neue Perspektiven auf das deutsch-französische Verhältnis. Methodisch orientiert sie sich teilweise an dem von Michael Werner und Bénédicte Zimmermann entwickelten Forschungsansatz der "Histoire croisée", mit welcher transnationale Interaktionen und wechselseitige Beeinflussungen berücksichtigt werden sollen. Mit der Darstellung dieser Verflechtungen entwirft Miard-Delacroix ein komplexes Bild der Beziehungen, vergleicht asynchrone und synchrone Prozesse, politische Handlungsmuster und gesellschaftliche Milieus und zeigt dabei neben den ständig wachsenden Annäherungsprozessen auch etliche nach wie vor bestehende nationale Unterschiedlichkeiten auf. Als Beispiele hierfür seien die nach wie vor starken gesellschaftlichen Unter schiede im Hinblick auf die Arbeitswelt oder die unterschiedlich ausgeprägte politische Trennung zwischen rechts und links mit ihren vielfältigen Auswirkungen genannt. Allerdings lassen sich auch zahlreiche, den Leser wohl eher überraschende Gemeinsamkeiten anführen, wie beispielsweise in Bezug auf das Staatsangehörigkeitsrecht oder im Hinblick auf das Geschichtsgedenken. Derartige Erkenntnisse und die beeindruckende multiperspektivische Betrachtung, sowie die Berücksichtigung des asymmetrischen Interaktionsfeldes zwischen Frankreich und dem zweigeteilten Deutschland sind charakteristisch für den überzeugenden Ansatz von Miard-Delacroix, die auch die vorliegenden Forschungsarbeiten aus beiden Ländern speziell auf die transnationalen Interferenzen hin untersucht und dabei zu vielen interessanten und weiterführenden Ergebnissen kommt. Die beiden Bände stimmen nicht unkritisch in die Jubelgesänge der politischen Feierlichkeiten dieser Tage ein, sondern entwerfen ein differenziertes Bild der deutsch-französischen Beziehungen von 1945 bis zur Gegenwart, indem sie den traditionellen nationalgeschichtlichen Rahmen verlassen und den Blick auf die Vielfältigkeit und die Komplexität des binationalen Verhältnisses werfen. Damit wird dem Leser ein facettenreiches, weit über die politischen Prozesse hinausreichendes Spektrum der historischen Entwicklung vermittelt, welches bewusst zu einer "Entemotionalisierung" der deutsch-französischen Geschichte beitragen will. Die beiden Bände sind daher nicht nur meisterhaft verfasste historische Handbücher und fundierte Nachschlagewerke, sondern hoffentlich auch Ideengeber für Wissenschaftler und Interessierte, die sich künftig mit dem Thema der deutsch-französischen Aussöhnung beschäftigen wollen.
Ansbert Baumann

Une date charnière
Onze ouvrages sur l’histoire des relations franco-allemandes du Moyen Age à nos jours ont été publiés par l’Institut historique allemand de Paris, en français et en allemand. Le dixième volume est consacré à l’après-guerre, de 1945 à 1963, donc « entre guerre froide et intégration européenne », un demi- siècle consacré à la reconstruction et au rapprochement. Le onzième et dernier volume commence en 1963. C’est donc la date de la signature du Traité de l’Elysée qui sert de charnière entre les deux ouvrages, preuve que le 22 janvier 1963 a bien représenté un changement géopolitique, les 50 dernières années constituant surtout un « défi européen », comme l’indique le titre du dernier volume.
Réd.

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Deutsch-französische Geschichte