Blitze

Originaltitel: Des éclairs

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Echenoz, Jean
2012, Berlin, Berlin , ISBN10: 3833307102

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 2/2013 

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Rezension / Compte rendu:
Genie und Wahnsinn
Literarische Neuerscheinungen aus Frankreich

Literarischer Erfolg in Frankreich bedeutet nicht unbedingt literarischer Erfolg in Deutschland und umgekehrt. Dennoch haben deutsche Verlage in den letzten Monaten eine Vielzahl mit Bedacht gewählter französischer Bestseller in Deutschland herausgegeben, wissend, dass deutsche Leserinnen und Leser stets Interesse für moderne französische Literatur haben.

Le roman français en Allemagne
Les éditeurs allemands ont publié ces derniers mois de nombreux romans français en traduction allemande. Beaucoup d’oeuvres à succès restent encore non traduites. Certains auteurs, qui ont connu un réel succès en France, ne sont pas encore dans les listes de best-sellers en Allemagne, mais le choix des éditeurs traduit bien l’intérêt que portent les lecteurs allemands à la littérature moderne française.
Réd.

Viele Deutsche dürften die soeben erschienenen Bücher von Pierre Bost und Julien Gracq vor allem als posthume Werke wahrnehmen: Pierre Bost ist bereits 1975 gestorben, Julien Gracq 2007. Und ihre Werke, die jetzt ins Deutsche übersetzt wurden, beschreiben wie Jean Echenoz und Emmanuel Carrère Situationen aus der Vergangenheit. Marie Darrieussecq ist die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt: Ihr (umstrittener, zumindest viel diskutierter) Roman über Sexualität hat sie zwar 2011 geschrieben, es geht aber um eine Situation aus den 1980er-Jahren.

Aufstieg und Niedergang
Jean Echenoz, Blitze (Originaltitel: Des éclairs). Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin, Berlin 2012, 143 Seiten.

Bei seiner Geburt, so heißt es, gab es ein heftiges Gewitter und der Himmel war voller Blitze. Das liest sich bereits wie ein Menetekel, weil alles, was mit Strom zu tun hatte, das Leben des Nikola Tesla (1856–1943) bestimmen sollte. Ein Genie war dieser Mann, ein Tausendsassa, der wie sein Zeitgenosse und späterer Konkurrent Thomas Edison ein Leben lang dem staunenden Publikum ein wahres Feuerwerk an Ideen und Erfindungen vor die Nase setzte. In dem neuen Roman von Jean Echenoz, dem Ende einer Trilogie mit erdachten bzw. weitergedachten, auf Anekdoten beruhenden Biographien (in ähnlicher Weise hatte der Franzose zuvor schon die Lebensläufe Maurice Ravels und Emil Zátopeks „erforscht“), heißt der schillernde Ingenieur schlicht Gregor, wohl in der Absicht, den fiktiven Hintergrund des Ganzen zu wahren. Er wird derjenige sein, der „den Strom nutzbar“ macht. Aus Serbien stammend gelangt er in die Vereinigten Staaten, und seine bahnbrechende Entdeckung dort ist zunächst der Wechselstrom, während genannter Edison sich noch als ebenso glühender wie rückständiger Vertreter des Gleichstroms versteht. Geschildert wird er als eine überaus bizarre Figur, als Exzentriker und Egomane, der in allen zwischenmenschlichen Bereichen geradezu kläglich scheitert. Sein Erfolg indes ist unaufhaltsam, und Konkurrent Edison, der krampfhaft und uneinsichtig an seinem Gleichstrom festhält, hat hier das schnöde Nachsehen; der Kleinkrieg der beiden ist natürlich ein höchst unterhaltsamer Moment dieses Buches. Um sein Monopol zu wahren, lässt Edison in aller Öffentlichkeit, zu Schauzwecken und um die Gefährlichkeit des Gegenmodells zu demonstrieren, Hunde und Katzen, später auch Ochsen und Elefanten, an Wechselstrom anschließen und sie elendig zugrunde gehen. Doch er bietet noch mehr: er schlägt Gefängnisleitungen vor, auch Verhaftete damit zu traktieren, und Echenoz lässt keinen Zweifel daran, dass hier der direkte Weg zur Erfindung des elektrischen Stuhls führt. Dennoch wird Gregor, nicht Edison, in Amerika der wahre Star sein, man reißt sich förmlich um ihn. Mit der Zeit wird es aber immer seltsamer mit ihm: er arbeitet an einem Radioempfänger und glaubt Botschaften von Marsmenschen zu empfangen. Die Journaille greift das mit Genuss auf und macht sich lustig über ihn, derweil er in seinem Kämmerlein vornehmlich daran denkt, wie und was er den Marsmenschen antworten kann.
Es ist die klassische Parabel von Aufstieg und Niedergang, und Gregors Ende ist in der Tat unrühmlich. Er vereinsamt, verschuldet sich, zieht von einem Hotel zum anderen. Was bleibt, sind seine Tauben, denen seine alleinige Liebe gilt.
Thomas Laux

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