Limonow

Originaltitel: Limonov

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Carrère, Emmanuel
2012, Matthes & Seitz, Berlin, ISBN10: 3882219955

Dieses Buch jetzt bei Amazon.de ansehen
Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 2/2013 

Voir ce livre sur Amazon.fr
Ce livre a fait l'objet d'un compte rendu de lecture dans le numéro : Dokumente/Documents 2/2013 

Rezension / Compte rendu:
Genie und Wahnsinn
Literarische Neuerscheinungen aus Frankreich

Literarischer Erfolg in Frankreich bedeutet nicht unbedingt literarischer Erfolg in Deutschland und umgekehrt. Dennoch haben deutsche Verlage in den letzten Monaten eine Vielzahl mit Bedacht gewählter französischer Bestseller in Deutschland herausgegeben, wissend, dass deutsche Leserinnen und Leser stets Interesse für moderne französische Literatur haben.

Le roman français en Allemagne
Les éditeurs allemands ont publié ces derniers mois de nombreux romans français en traduction allemande. Beaucoup d’oeuvres à succès restent encore non traduites. Certains auteurs, qui ont connu un réel succès en France, ne sont pas encore dans les listes de best-sellers en Allemagne, mais le choix des éditeurs traduit bien l’intérêt que portent les lecteurs allemands à la littérature moderne française.
Réd.

Viele Deutsche dürften die soeben erschienenen Bücher von Pierre Bost und Julien Gracq vor allem als posthume Werke wahrnehmen: Pierre Bost ist bereits 1975 gestorben, Julien Gracq 2007. Und ihre Werke, die jetzt ins Deutsche übersetzt wurden, beschreiben wie Jean Echenoz und Emmanuel Carrère Situationen aus der Vergangenheit. Marie Darrieussecq ist die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt: Ihr (umstrittener, zumindest viel diskutierter) Roman über Sexualität hat sie zwar 2011 geschrieben, es geht aber um eine Situation aus den 1980er-Jahren.

Emmanuel Carrère, Limonow (Originaltitel: Limonov). Aus dem Französischen von Claudia Hamm. Matthes & Seitz, Berlin, 2012, 414 Seiten.

Kein Extrem schien diesem Mann unbekannt zu sein, kein Widerspruch unmöglich. Er war ein Star, der sich prügelte, der großen Erfolg bei Frauen hatte und sich gleichzeitig, aus sexuellem Erfahrungshunger, auch mit Männern einließ, einer, der Gedichte schrieb und in diesem Bereich zur Avantgarde gehörte, der ein Boheme-Leben führte und gleichzeitig als Kleinkrimineller auftrat, einer, der in den 1970er-Jahren aus der Sowjetunion ausgewiesen wurde und nach ihrem Zusammenbruch ein Erschießungskommando für Gorbatschow forderte. Und selbst diese Aufzählung wäre nur ein winzig kleiner Ausschnitt aus dem überaus schillernden Leben dieses Edouard Limonow, dem sich der französische Schriftsteller und Regisseur Emmanuel Carrère nun in einer auch auf Deutsch vorliegenden Romanbiographie überwiegend empathisch, zum Teil aber auch mit spürbar kopfschüttelnder Skepsis angenähert hat. Keine Selbstinszenierung, keine Ausschweifung war dem 1943 in der Ukraine geborenen Limonow zu abwegig, doch wie dieser Gauner und Dissident es in seiner späteren Zeit in den USA in die höheren gesellschaftlichen Kreise und in die Entourage etwa eines Joseph Brodsky oder Rudolf Nurejew geschafft hat, das liest sich einfach spannend. Nach einem Umweg über Frankreich sieht man Limonow noch viel später im serbisch-kroatischen Krieg auf Seiten der Serben kämpfen. Als der von ihm geschmähte Gorbatschow ihm die russische Staatsbürgerschaft zurückgibt, nutzt Limonow dies, um mit seiner nationalbolschewistischen Partei für die Duma zu kandidieren und seiner eigenen Form des Faschismus ein Forum zu bieten. Irgendwann landet Limonow dann sogar in einem Arbeitslager. Vieles an der Figur Limonow erscheint für Normalsterbliche einfach unfassbar, dabei schildert Carrère die multiplen Ausschläge dieses Mannes in relativ unaufgeregter Manier, und letztendlich sprechen Fakten und Widersprüchlichkeiten auch für sich. Einige Passagen, insbesondere die zur russischen Geschichte und zum Zusammenbruch der Sowjetunion, geraten ihm freilich etwas zu lang, da hat man als Leser den Eindruck einer ausufernden Geschichtsvorlesung. Auch hält sich Carrère mit seiner eigenen Einschätzung der politischen Ereignisse nicht gerade zurück, wobei seine unverhohlene Parteinahme für Putin eher etwas befremdlich wirkt.
Insgesamt aber gelingt ihm das faszinierende, spektakuläre Porträt eines notorisch unangepassten Querdenkers.
Thomas Laux

Dieses Buch jetzt bei Amazon.de ansehen
Voir ce livre sur Amazon.fr
Limonow