Frankreich Jahrbuch 2007

50 Jahre V. Republik

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Deutsch-Französisches Institut (Hg.)
2007, VS Verlag für Sozialwissenschaften, ISBN10: 3531157973

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Rezension / Compte rendu:
Stabilität und Wandel

Zum 50. Jahrestag der V. Republik am 4. Oktober 2008 bietet das Frankreich Jahrbuch 2007 einen facettenreichen Überblick über die Entwicklung des Regierungssystems seit seiner Gründung.
Der Einführungsbeitrag von Wolfram Vogel gibt dem nicht im Detail mit dem politischen System vertrauten Leser eine hilfreiche Grundlage zur Einordnung der folgenden elf Beiträge des Schwerpunkts. Vogel unterstreicht die Besonderheit der V. Republik im Vergleich zu den Vorgängerregimen seit der Französischen Revolution: Die Stärkung der Exekutive und die "vernünftigere Organisation" der Parlamentsarbeit sollten Frankreich regierbar machen. Das Regime bewies bislang eine große Anpassungsfähigkeit, die die Stabilität der Verfassung über 50 Jahre hinweg erklärt. Der Band enthält zwei weitere überblicksartige Artikel: Michel Verpeaux analysiert die Verfassungsänderungen seit 1958 und unterscheidet solche, die die Funktion des politischen Systems veränderten und solche, die eine Anpassung an das veränderte europäische und internationale Umfeld darstellen. Philippe Manière diskutiert, ob und wie die Institutionen weiter verändert werden sollten: Es bedürfe keiner VI. Republik, doch solle die "Assemblée Nationale" weitreichenden Reformen unterzogen werden. Auch Olivier Costa und Eric Kerrouche zeichnen ein kritisches, empirisch fundiertes Bild vom französischen Parlamentarismus. Verantwortlich für die Schwäche der "Assemblée Nationale" sind demnach die Abgeordneten selbst, die ihre Kontrollfunktion aufgrund der verbreiteten Ämterhäufung und zu starkem Wahlkreisengagements nur unzureichend wahrnehmen.
Zwei weitere Beiträge befassen sich mit Institutionen im engeren Sinne: Nicolas Tenzer sieht die Defizite der Institutionen hinsichtlich ihrer Transparenz und demokratischen Kontrolle im Zustand der französischen Gesellschaft verankert und formuliert weitreichende Reformvorschläge für Frankreichs "unvollendete Demokratie". Der Minister a.D. und Präsident des Senats Jean François-Poncet beleuchtet die Institutionen der V. Republik vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen der III. und IV. Republik und gibt einen knappen Ausblick auf die derzeitige Reformdiskussion. Eine Reihe von Beiträgen befasst sich mit der Repräsentation der Gesellschaft in den Institutionen und den Partizipations- und Dialogformen. Anne-Laure Ollivier untersucht die Schwierigkeiten der Sozialisten, im ersten Jahrzehnt der V. Republik, die sie in ihren Grundzügen nicht akzeptierten, eine wirksame Opposition zu werden. Pierre Bréchon zeigt auf, dass zwar die Parlamentswahlen immer weniger Wähler mobilisieren, doch gleichzeitig die Bereitschaft zur Teilnahme an Protestbewegungen steigt – und längst auch andere Bevölkerungsgruppen als die traditionell demonstrations- und streikfreudige Arbeiterschicht ergreift. Raphael Hadas-Lebel sieht eine wachsende Bedeutung der Zivilgesellschaft als Konsequenz der Unzufriedenheit mit den Teilnahmemöglichkeiten in politischen Entscheidungsprozessen. Christoph Egle beschäftigt sich mit dem Scheitern von arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen seit den 1990er Jahren, und sieht neben der breit diskutierten Blockademacht der Gewerkschaften im Parteienwettbewerb eine weitere Hürde. Jack Hayward schließlich zeigt die Faktoren auf, die wirtschaftsliberalen Strömungen in Frankreich die Ausbreitung und Durchsetzungsfähigkeit erschweren, vom Beginn der V. Republik bis zu den Anfängen von Sarkozys Präsidentschaft.
Der Schwerpunkt, der durch zwei themenfremde Beiträge (zu französischen Autorinnen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert und den Gründen des Verkaufserfolgs des Buchs von Jonathan Littell "Les Bienveillantes") vervollständigt wird, balanciert Überblicksbeiträge und thematisch eng fokussierte Kapitel gut aus. Er zeichnet kein lückenloses Bild der Verfassungsrealität 50 Jahre nach Gründung der V. Republik, was angesichts des vorgegebenen Umfangs und der Entstehungsgeschichte aus der Jahrestagung des DFI heraus wohl auch nicht angestrebt war. Durch die Spezialisierung einiger Beiträge und den in den meisten Fällen hergestellten Aktualitätsbezug liest sich der Band als wertvolle Ergänzung zu vorliegenden Lehrbüchern und Einführungswerken in das politische System Frankreichs und den in den letzten Jahren erschienenen Beiträgen zu Stabilität und Wandel der V. Republik. Für die aktuelle Diskussion über die Reform der französischen Verfassung und die Modernisierung des Wirtschafts- und Sozialsystems liefert er interessante Hintergrundelemente.
Daniela Schwarzer

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