Suche nach Grund und Gipfel

Über den Maquis, Malerei, Dichtung und Philosophie

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Char, René
2015, Klever, Wien, ISBN10: 3902665947

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 1/2016 

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Ce livre a fait l'objet d'un compte rendu de lecture dans le numéro : Dokumente/Documents 1/2016 

Rezension / Compte rendu:
Rückblicke
Französische Literatur in deutscher Übersetzung

An René Char (1907–1988), diesem markanten provenzalischen Urgestein, hat sich seit einer gefühlten Ewigkeit kein deutschsprachiger Verlag mehr so recht herangetraut. Vor Jahrzehnten, vor allem aufgrund der legendären Übersetzungen bzw. Nachdichtungen Paul Celans oder Peter Handkes, war er einem kleineren Publikum immerhin mal ein Stück weit vertrauter gemacht worden. Ein Band eröffnet nun die Möglichkeit, sich diesem Mann erneut anzunähern – wenn auch auf den ersten Blick eher über eine Sammlung von Marginalien. Aber selbst hier wird rasch deutlich: auch in (vermeintlich) literarischen Randgebieten zeigt sich Char in seiner ganzen dichterischen Dimension, stringent und konzentriert. Die Aufzeichnungen bedienen verschiedene Genres und Untergenres, Aphorismen wechseln mit Glossen, Briefe oder politische Statements wechseln mit Erinnerungen an jung verstorbene Freunde und Dichterkollegen. Auch Einflüsse werden deutlich, Chars große Vorbilder reichen von Hölderlin über Pierre Reverdy zu Antonin Artaud und Arthur Rimbaud. Abseits landläufiger Berühmtheiten erwähnt Char mehrfach einen jungen Poeten, Roger Bernard, der sich wie Char im Vercors-Gebirge früh den Widerständlern, den maquisards, angeschlossen hatte, und dies, bevor sich die Résistance noch überhaupt gebildet hatte.
1944 wurde er, gerade mal 23-jährig, auf offener Straße von der SS füsiliert, eine Szene, die Char bereits in seiner Sammlung Feuillets d'Hypnos (deutsch: Hypnos – Aufzeichnungen aus dem Maquis 1943–1944) beschrieben hatte. Er hatte der grausamen Szene aus kurzer Distanz beiwohnen müssen. Als engagierter Poet weist Char schon zu Anfang der 1940er-Jahre auf die Nachkriegszeit hin, orakelt, dass einst die freigesprochen würden, die "auf der Seite des Verbrechens standen", die französischen Kollaborateure im besonderen, die "fröhlich nach der Pfeife der Folterknechte" tanzten. Chars Bilanz dieser Zeit wirkt bereits ernüchtert: für Humor, erklärt er in einen Brief an einen Freund, sei kein Platz mehr in dieser Welt. Und das eigene Werk? Gegenüber André Breton lässt sich Char 1949 in dem Versuch einer poetologischen Standortbestimmung erkennen, berichtet von Schwierigkeiten, sich überhaupt mit der Wirklichkeit, dem alltäglichen Leben, abzufinden. Konsequenterweise redet er dem Rückzug ins eigene Ich das Wort: "Ich bin mir noch gegenwärtig  in der Liebe, im Ungehorsam und unter dem großen Dach der Erinnerung." Dieses eskapistische Muster ist letztlich Teil seiner Biografie: Der Eremit aus Isle-sur-la-Sorgue im Departement Vaucluse versperrte sich, wo es ging, den modernen
Verlockungen, besaß kein Telefon, kein Auto, keinen Fernseher, überantwortete sich lieber seiner selbst gesuchten und eisern gepflegten Einsamkeit. Die Aufzeichnungen reflektieren den weit gefächerten Kosmos dieses genialen Eigenbrötlers, zeigen seine Vorlieben und Abneigungen, belegen seine Freundschaften (etwa zu Camus) ebenso wie seine Nöte. Von außerordentlichem Nutzen ist Manfred Bauschultes Glossar mit weiter führenden, alphabetisch angelegten Informationen; nur so lassen sich die einzelnen Orte und die zahlreichen, hierzulande wohl kaum mehr bekannten Namen mit René Char schlüssig in Verbindung bringen.
Thomas Laux

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