Der Brief im Taxi

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: de Vilmorin, Louise
2016, Dörlemann, Zürich, ISBN10: 3038200336

Dieses Buch jetzt bei Amazon.de ansehen
Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 4/2016 

Voir ce livre sur Amazon.fr
Ce livre a fait l'objet d'un compte rendu de lecture dans le numéro : Dokumente/Documents 4/2016 

Rezension / Compte rendu:
Geheimnis um einen Brief
Die Romane der Louise de Vilmorin (1902–1969) spielen in gehobenen bürgerlichen (wahlweise adligen) Kreisen, wo der Hang zum Müßiggang stärker ausgeprägt ist als das Interesse für die Niederungen des Arbeitslebens. Selbstredend bleibt man hier unter sich. Stilsicher, mit einer pointierten, leicht witzigen wie ironischen Erzählweise, umschifft sie die Klippen des Boulevard: Cécilie heiratet Gustave Dalfort, der sich charakterlich nicht zu seinem Vorteil entwickelt und vor allem seine Bankkarriere im Auge hat. Cécilie mokiert sich über ihn mittels des Verfassens einer satirischen Komödie, in der er eine Hauptrolle spielt. Darüber wiederum berichtet sie in einem Brief an ihren Bruder Alexandre. Doch dieser Brief geht bei einer Taxifahrt verloren, und die allseitigen Mutmaßungen über den Inhalt des Briefes schießen alsbald ins Kraut, zumal Cécilie das vermeintliche Geheimnis nicht aufzuklären gedenkt, im Gegenteil. Hat die hartnäckig Herumlavierende am Ende vielleicht sogar einen Liebhaber? Zur allgemeinen Überraschung taucht ein Mann auf, der im Besitz des nach wie vor ungeöffneten Briefes ist, ihn aber nur aushändigen will, wenn er als Gegenleistung ein Abendessen, ein persönliches Tête-à-Tête mit Cécilie, versprochen bekommt, und zwar von ihr selbst und das noch in ihrem eigenen Haus. Tatsächlich kommt es dazu. Cécilie hat nach wie vor panische Angst vor der Aufdeckung, verstrickt sich in Ausflüchte, tischt tausenderlei Lügengeschichten auf und zeigt in dieser Hinsicht ein außerordentliches Talent. Dass sie sich sogar noch in den Mann mit dem Brief verliebt, er tatsächlich zu ihrem Liebhaber wird, impliziert indes kein happy end. Sublime Abgründe menschlichen Versagens tun sich auf, das Ganze ist psychologisch fein beobachtet und charmant in Szene gesetzt.
Ein ähnliches Szenario hatte de Vilmorin übrigens in ihrem vielleicht bekanntesten Roman Madame de (von Max Ophüls 1953 verfilmt) durchgespielt.
Thomas Laux

Dieses Buch jetzt bei Amazon.de ansehen
Voir ce livre sur Amazon.fr
Der Brief im Taxi