Der Alkohol und die Wehmut

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Enard, Mathias
2016, Matthes & Seitz, Berlin, ISBN10: 3957573491

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 2/2017 

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Rezension / Compte rendu:
Verlorene Illusionen

Mathias Enards neuer kleiner Roman (Originaltitel: L'alcool et la nostalgie) zirkuliert um die Tiefendimensionen einer Freundschaft, einer Dreiecksgeschichte genau genommen, in der Mathias, der Ich-Erzähler, seine Beziehung zu Jeanne und zu einem gewissen Wladimir Revue passieren lässt. Besagter Wladimir ist zu Anfang der Erzählung bereits an seiner Drogensucht gestorben, und Mathias macht sich nun von Moskau aus auf, letzte Spuren von Wladimir im dreitausend Kilometer entfernten Nowosibirsk sicherzustellen, genauer gesagt in seinem Heimatdorf im dortigen Umland,
um ein Elternhaus, eine Großmutter, vielleicht ein Grab ausfindig zu machen. Gegebenenfalls will er da, wie er sagt, sogar selbst "verlorengehen". Er nimmt die Transsibirische Eisenbahn, den "Totenzug zum Stillen Ozean", wobei diese auffallend von Traurigkeit umwölkte Fahrt zu einer Erinnerungsreise der ganz besonderen Art gerät. Der Zug ist voll von Dauerbetrunkenen, die sich durch Alkohol von der monotonen Fahrt abzulenken suchen. Er selbst bleibt die Fahrt über für sich, gibt sich seiner melancholischen Stimmung hin. Ständiges Subthema seiner weit ausgreifenden Gedanken ist die unglücklich verlaufene Liebe zu Jeanne, die, ebenfalls drogensüchtig, in Moskau zurückgeblieben ist und die ihrerseits ein intimes Verhältnis zu Wladimir (und eben nicht zu ihm) hatte, seine Sehnsucht nach ihr wächst mit jedem gefahrenen Kilometer, immerzu hört er ihre Stimme. In seinem Monolog lässt Mathias eher en passant eine hohe Kenntnis an russischer Geschichte und Literatur erkennen, fantasievoll weiß er über Legenden und Mythen dieses riesigen Landes zu fabulieren. Man liest diese Passagen, die historische Kontexte originell unter differenziert gesetzten Schwerpunkten verbinden, mit Gewinn. Seine eigene Geschichte speist sich aus existenzieller Ernüchterung:  "Wir hatten keine Revolution mehr, uns blieben nur die Illusionen der Reise, des Schreibens und der Drogen." Der heute 45-jährige Mathias Enard, der im März 2017 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung bekommen hat, zeigt mit seinem schmalen Werk, dass er nach seinen hochkomplexen und zu Recht hochdekorierten Romanen zuvor (Zone ; Kompass) auch über einen feinen Sinn für Leer stellen verfügt, für Ungesagtes, für Poesie. Kunstvoll und leicht zugleich ( trotz aller verhandelten Schwere) erweist sich dieses Büchlein bei aller Tristesse als belletristisches Kleinod.
Thomas Laux

Mathias Enard à l'honneur
Dans L'alcool et la nostalgie, Mathias Enard narre l'histoire d'une défaite et d'une chute abyssale qui touchent trois jeunes gens aspirés par un tourbillon délétère, auxquels l'histoire de la Russie prête un creuset romantique, mélancolique et désastreux. Sept mois avant le Salon du Livre de
Francfort (qui mettra la France au coeur de l'événement auquel Dokumente/Documents consacrera un dossier dans son prochain numéro), celui de Leipzig a récompensé Mathias Enard en lui remettant le prestigieux prix du Livre de Leipzig pour la compréhension européenne, doté de 20000 euros, pour son roman Boussole, traduit en allemand sous le titre Kompass (voir dans l’édition 4/2016 de cette revue).
Réd.

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Der Alkohol und die Wehmut