Un paradoxe français

Antiracistes dans la Collaboration, antisémites dans la Résistance

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Epstein, Simon
2008, Editions Albin Michel, ISBN10: 2226179151

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente 2/2009 

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Rezension / Compte rendu:
Verstörende Einsichten

Als Marcel Ophüls vor fast 40 Jahren seinen zunächst verbotenen, dann heftig umstrittenen und inzwischen zum Klassiker gewordenen Film über den französischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung ("Le chagrin et la pitié") drehte, war dies ein erster Schritt zur nüchternen Betrachtung des Mythos "Résistance". So wenig in diesem Film an der moralischen Integrität derer gezweifelt werden sollte, die sich für den Widerstand entschieden hatten, so sehr wurde deutlich, dass die Motive, sich den Deutschen zu widersetzen, völlig unterschiedlicher Natur waren. Das scheinbar eindeutige Bild des überzeugten - nämlich entweder gaullistischen oder kommunistischen - "maquisard" löste sich in zahllose Facetten auf, denn zu den Beweggründen der Widerstandskämpfer gehörten klare politische und humanistische Überzeugungen ebenso wie sehr alltägliche Gründe und eher zufällige Begebenheiten, die womöglich ebenso zur Kollaboration hätten führen können - und de facto auch oft geführt haben. Mit seinem Buch führt Simon Epstein diese Entmythisierung weiter und unterzieht die Beweggründe der Widerstandskämpfer, ebenso wie diejenigen der "collaborateurs", einer sehr luziden Analyse; in ihr spielen strukturelle Überlegungen zur Bedeutung von Antisemitismus und Nationalismus, zu Sympathie oder Antipathie gegenüber der Volksfront der 1930er Jahre sowie über das Verhältnis zum Nachbarn Deutschland (vor und nach 1933) bei der Option für oder gegen "Résistance" oder Kollaboration eine ebenso große Rolle wie biographische Skizzen einzelner Persönlichkeiten, die eine symptomatische Rolle während der 2années noires" spielten.
In dieser historischen Situation Frankreichs war die Freiheit der Entscheidung derart zugespitzt, dass jede Handlung schlechterdings eine Parteinahme bedeutete, selbst die desjenigen, der sich "heraushalten" wollte. Diese Zuspitzung war, so zeigt Epstein in überzeugender Weise, die Folge einer Polarisierung, welche sowohl in der Dreyfus-Affäre als auch während der Volksfront-Regierung zu einem Bewusstsein der "deux France" geführt hatte, welches den Anspruch der "France une et indivisible" für viele auf schmerzliche Weise konterkarierte. Zwei Organisationen seien es gewesen, die in ihrer jeweiligen Perspektive dieses Ideal der Einheit verkörpert und eifersüchtig gegen die jeweils andere verteidigt haben, nämlich die "Action Française" (AF) von Charles Maurras' und die "Ligue Internationale contre l'Antisémitisme" (LICA). Beide Gruppierungen boten, so Epstein, ihren Mitgliedern und Anhängern eine klare politische Orientierung, bis sich Anfang 1933 die Ereignisse im Nachbarland Deutschland dergestalt änderten, dass die Anhaltspunkte dieser Orientierung ins Wanken gerieten.
So begegneten Charles Maurras und seine aus den "anti-dreyfusards" von 1898 hervorgegangenen Adepten den Deutschen mit einer Ablehnung, die ebenso groß war wie ihr Hass auf die Juden; der immer aggressivere Antisemitismus in Hitlers Deutschland ließ jedoch die klaren Feindbilder verschwimmen, und spätestens, als Frankreichs militärische Niederlage im Sommer 1940 (vorerst) besiegelt war, befand sich die AF in einer Zerreißprobe: Mit den Deutschen zu paktieren und der Pétainistischen Doktrin der Kollaboration zuzustimmen kam nur für diejenigen infrage, deren Nationalismus schwächer ausgeprägt war als ihr Antisemitismus. Und das waren keinesfalls die meisten, weshalb sich nicht wenige antisemitisch eingestellte Anhänger Maurras' der "Résistance" anschlossen.
Überrascht die Tatsache eines Engagements der politischen Rechten, ja extremen Rechten in der "Résistance", so gilt dies nicht minder für die andere der beiden "familles politiques": Die Humanisten und Philosemiten der Zwischenkriegszeit fühlten sich in ihrem Selbstverständnis, nicht zuletzt in der Tradition eines Jean Jaurès und aufgrund der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, zutiefst dem Ideal des Pazifismus verpflichtet; dieses Ideal nahm jedoch angesichts der Kriegsvorbereitungen östlich des Rheins immer mehr die Formen eines "Appeasement" um jeden Preis an. Es überrascht insofern nicht, dass sich viele Anhänger der pazifistischen Linken aus den Tagen der Volksfront in den Ministerien Vichys wiedertrafen, und dies keineswegs nur aus Opportunismus, wie in der Nachkriegshistoriographie oftmals allzu leichtfertig konstatiert wurde.
Kritiker könnten dem Buch des Historikers an der hebräischen Universität von Jerusalem vorwerfen, allzuviel Verständnis für die Irrwege derer aufzubringen, die das Paradox eines antisemitischen "résistant", vor allem aber das eines humanistisch gesonnenen "collaborateur" verkörperten; allein das ausführliche Kapitel über François Mitterrand widerlegt solche Vorbehalte, zeigt der Autor doch in dieser Passage seines Buches wie andernorts, was es heißt, nüchtern und jenseits interessierter Polemik zu analysieren. Der Mythos von der "Résistance" eines ganzen Volkes, das sich in gemeinsamer humanistischer Gesinnung nicht nur gegen den Feind von außen, sondern gegen die Barbarei schlechthin erhoben habe, und der die Kollaboration als ein Phänomen weniger ewig Gestriger abtut, münde seit 1944 in die "rhétorique des deux France - la bonne et la mauvaise", mithin in ein Selbstverständnis, das im Namen der Einheit des Landes die Augen vor seinen eigenen Paradoxa verschließt.
Simon Epsteins Buch kann verstören, weil es scheinbare Gewissheiten unterläuft und vermeintliche Grenzen verwischt - das macht es so wertvoll.
Clemens Klünemann

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Un paradoxe français