Deutsche und französische Medien im Wandel

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Frenkel, Cornelia; Lüger, Heinz-Helmut; Woltersdorff, Stefan (Hg.)
2004, Knecht Verlag, ISBN10: 393092787X

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Rezension / Compte rendu:
Medienlandschaften in Frankreich und Deutschland

Angesichts tiefgreifender Umwälzungen in der europäischen Medienlandschaft, die durch wirtschaftliche Krisen vieler Printprodukte, die Internationalisierung der audiovisuellen Medien und nicht zuletzt durch die Internet-Revolution gekennzeichnet ist, sucht der vorliegende Band Antworten auf die Frage danach, ob Frankreich und Deutschland eher national spezifische oder gemeinsame Wege gehen. Nähern sich die Systeme einander an oder driften sie auseinander? Und wie wirken sich die Veränderungen auf die Situation in den deutsch-französischen Grenzräumen aus, in denen sich seit jeher unterschiedliche Traditionen begegnen und vermischen? Um es gleich zu sagen: Man wird keine zweite Publikation finden, in der auf diese Fragen so umfassende und überzeugende Antworten geliefert werden wie hier.
Der erste Teil des Bandes ist komparativen Perspektiven gewidmet. Isabelle Bourgeois stellt dar, dass Deutschland ein ausgesprochenes Zeitungs-, Frankreich hingegen eher ein Rundfunkland mit noch unterentwickeltem Fernsehangebot ist, und bei Irene Preisinger erfährt man Erhellendes über das jeweils andere Berufsverständnis der Journalisten in beiden Ländern (siehe auch in Dokumente, 4/2003), aber auch über die Annäherung beim Verständnis von Recherche-Journalismus. Eine umfangreiche vergleichende Detailstudie zur Adressatenorientierung in der Regionalpresse haben Heinz-Helmut Lüger und Patrick Schäfer am Beispiel der Zeitungen "L'Alsace" und "Die Rheinpfalz" durchgeführt. Ihre Ergebnisse strafen die Klischeevorstellung Lügen, wonach französische Zeitungen stärker personalisieren und deutsche Presseprodukte deshalb nüchterner und langweiliger seien. Die untersuchten Zeitungen weisen bei aller Besonderheit ihrer Profilbildung mehr gestalterische Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf.
Das zweite, medienwissenschaftliche Perspektiven entfaltende Kapitel enthält umfangreichere Studien zu neuen Technologien (Monika Haberer, Torsten Liesegang), zur Entwicklung der Verlage (Ernst Ulrich Große) und Mediengruppen (Rudolph Meyer), zu Wandlungen in der französischen Presse (Michel Mathien) und abschließend eine differenzierte Analyse zum kulturpolitischen Konzept der "exception culturelle" beziehungsweise zur "diversité culturelle" (Nathalie Hillenweck). Große stellt einerseits Übereinstimmungen etwa zwischen den Internationalisierungsstrategien der großen Verlage heraus, verweist aber auch auf Unterschiede, so etwa auf die besonders prekäre Lage der französischen Tagespresse, die trotz staatlicher Finanzierung vom finanziellen Engagement regierungsnaher Unternehmer abhängig ist, wie zum Beispiel die Socpresse ("Le Figaro") vom Rüstungsindustriellen Dassault. Unterschiede zeigen sich aber auch in der Aufmachung und inhaltlichen Orientierung, besonders bei den erfolgreichen Wochenmagazinen. So ist die deutsche "Capital" stärker textlastig als die buntere französische Ausgabe, die überdies ganz frankreichzentriert ist, während die deutsche Ausgabe sich inhaltlich international orientiert. Meyer untersucht die Entwicklung der Mediengruppen Kirch und Vivendi, die sich beide bei ihrem rasanten internationalen Ausbau übernommen hätten, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Bei Vivendi sei die Expansion nach Amerika finanziell nicht solide gewesen, während Kirch vor allem an Brüssel gescheitert sei. Die Kommission hat in der Tat Kirchs Versuch, in Kooperation mit Bertelsmann und der Deutschen Telekom über die Dechiffriertechnologie den Zugang zu möglichst allen medialen Plattformen zu kontrollieren, unterbunden. Beim Blick auf zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten der Datenübertragung hält er insbesondere den weiteren Ausbau der Kabelnetze in Deutschland für vielversprechend. Sie spielen in Frankreich hingegen nur eine ganz untergeordnete Rolle.
Der dritte Teil des Bandes enthält "journalistische Perspektiven", unter anderem auf (ungewisse) europäische Visionen für ARTE (Tobias Gerlach) und auf ein deutsch-französisches Radio in Paris (Gérard Foussier). Deutsche Welle und Radio France Internationale (RFI) haben sich mit den Kollegen von BBC-World in London schon vor Jahren zusammengeschlossen, um europäische Informationen in französischer, deutscher und englischer Sprache zu senden. Ein europäisches Radio scheint also in Reichweite zu liegen. So zeigt dieser Band in beispielhafter Weise neben einigen divergierenden Entwicklungen nicht nur Gemeinsamkeiten etwa in grenznahen Räumen auf, sondern entfaltet auch europäische Visionen.
Johannes Thomas

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Deutsche und französische Medien im Wandel