Die feine Kochkunst

Vollständiges Lehr- und Handbuch der Kochkunst, Küchenbäckerei und Einmachekunst in ihrem ganzen Umfange

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Gouffé, Jules
2009, Gerstenberg, Hildesheim 2009., ISBN10: 3836925974

Dieses Buch jetzt bei Amazon.de ansehen
Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 1/2011 

Voir ce livre sur Amazon.fr
Ce livre a fait l'objet d'un compte rendu de lecture dans le numéro : Dokumente/Documents 1/2011 

Rezension / Compte rendu:
Ein Klassiker für Köche

"Man nehme 398 sowie weitere 490 feste Chamois-Papierseiten, fülle 60 davon mit Registereinträgen von A wie Aal, bis Z wie Zwiebeln, ergänze ein zweisprachiges Inhaltsverzeichnis der Gerichte, spicke das Werk mit chronomatischen Farbtafeln und gestochenen schwarz-weiß Holzdrucken, würze es mit raffinierten Speiseideen und Menüs für ein Déjeuner, Dîner oder Souper für 8 bis 60 Personen, verfeinere es durch klare Hinweise über die elegante Anordnung einer Tafel und das perfekte Tranchieren, dekoriere das Buch mit einem bibliophilen Einband und serviere so höchst präsentabel das mehrere Kilogramm schwere Faksimile."
So ähnlich mag die Rezeptur geklungen haben für das als Reprint im deutschen Gerstenberg Verlag erschienene Standardwerk des Kochens aus dem 19. Jahrhundert. Was damals innerhalb von fünf Jahren zur europäischen, in mehrere Sprachen - darunter die deutsche - übersetzten Bibel der Kochkunst wurde, schrieb 1867 kein geringerer als Jules Gouffé (1807-1887).

Anspruchsvoll und konservativ
Der Sohn eines Konditors und Bruder eines Kochs, zunächst gelernter Patissier, dann Lehrling und Protegé des berühmten Antonin Carême, arbeitete damals als Mundkoch ("officier de bouche") im elitären Pariser "Jockey-Club". Der kochende Schriftsteller Alexandre Dumas und ein gewisser Baron Brisse hatten ihn 1867 vermittelt. Im Jockey gab sich der handverlesene französische, exklusiv männliche Adel sein Stelldichein. Und wenn er nicht mit Pferdewetten, Politisieren, Rauchen und Feiern beschäftigt war, dinierte und soupierte er in den teuren "Jockey"-Gemächern. Was das Essen anbelangte, blieb - und bleibt - der Adel anspruchsvoll und konservativ. Mochte er auch sonst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu Ausschweifungen neigen und seinen von beginnendem Ruin gezeichneten Blick auf die betuchten, wenngleich für Franzosen zu emanzipierten Dollardamen jenseits des Atlantiks richten. Noch heute wird im "Jockey-Club" ein Eiergericht als traditionelle Vorspeise wie anno dazumal serviert. Eingefordert wird diese von Herzögen und Grafen, die alte Tafelfreuden - auch im Privaten - bewahren.

Ein wegweisendes Pionierwerk
Jules Gouffé erhob - selbstsicher - den "Anspruch auf Vollständigkeit". In seiner Präzision der Mengenangaben und Garzeiten sowie in seiner verständlichen, unpompösen Schreibweise war seine "Kochanleitung" ein wegweisendes Pionierwerk der Gattung Kochbuch. Fortschrittlich richtete es sich an Männer wie Frauen gleichermaßen, standen doch in den einfacheren Privathaushalten meistens Frauen am Herd - von der Großbourgeoisie und des Hochadels, die eher Köche beschäftigten, abgesehen. Doch während "Julius" noch in der streng klassenbewussten französischen Gesellschaft sorgsam zwischen "bürgerlicher" und "höherer" Kochkunst differenzierte, wollte er sich doch von den "en vogue" kommenden Restaurants unterscheiden, so ignorierten die deutschen Herausgeber des "Moritz Schäfer Verlags" in Leipzig nach einer ersten Übersetzung bewusst diese Nuancen und betitelten das überarbeitete Buch pauschal mit "feiner Küche". Sie argumentierten in ihrem Vorwort, "Geist und Prinzipien der Kochkunst" seien durch alle Schichten hindurch dieselben. Marktgerecht ergänzten sie das Werk um zahlreiche deutsche und europäische Gerichte. Ein kleiner Hinweis auf die doch anders geartete französische Originalausgabe wäre seitens des "Gerstenbergs Verlags", der das Reprint herausgibt, an dieser Stelle angebracht gewesen. Dass die im ausgehenden 20. Jahrhundert beliebte asiatische Küche schon bei Gouffé Eingang fand, etwa als indische Schwalbennestersuppe chinesischen Ursprungs, sei dem Kulturinteressierten jedoch angemerkt.
Das Gelingen eines Essens beginnt jedenfalls längst Tage, wenn nicht Wochen, vor der eigentlichen Zubereitung, mit der Zusammenstellung des Menüs, welche, so Gouffé, "Erfahrung und Umsicht" sowie "ungemein viel Überlegung fordert". Sein kulinarischer Menü-Imperativ: "möglichste Mannigfaltigkeit, keine Wiederholungen". Und wer die Wahl wie bei Gouffé mit 2 500 Rezepten hat, hat die Qual. Zahlreich waren - und sind - die Kombinationsmöglichkeiten, wenngleich ein Menü durchaus einer strengen Abfolge, darunter dem obligaten Wechsel von Fisch- und Fleisch, unterlag.
Parallel zu Speisezettel und Zubereitung galten die Art der Anrichtung einer Tafel, des Servierens und Tranchierens als Künste für sich, die Jules Gouffé detailliert und nachvollziehbar, didaktisch gut, in einem dicken Anhang "Vorschule des Kochens" beschreibt. Fast mathematisch mit Konen, Quadraten und Kreisen erläutert er beispielsweise das diffizile Serviettenfalten für Gedecke und zum Belegen der "Auftragsschüsseln" oder auch die Herstellung einer dekorativen Papiermanschette für Keulen. Viele Hinweise Gouffés behalten noch heute Gültigkeit.

Eindrücke eines deutschen Botschaftskochs
Man könne von den "klassischen Garnituren" lernen, meint Tobias Hellmann, versierter Mundkoch des deutschen Botschafters in Paris und blättert nachdenklich in Gouffés Werk. Der junge deutsche Botschaftskoch hat in Deutschland gelernt und bereits in mehreren französischen Restaurants (darunter einem Michelin-Stern-prämierten) gearbeitet, bevor er seine Stelle in Paris antrat. Von dem Werk, das ihm in seiner Kochlaufbahn zum ersten Mal begegnet, zeigt er sich "mächtig beeindruckt", hat Lust sich "einzulesen" und urteilt fachmännisch: "Ein gutes Nachschlagewerk mit anständigem Register." Dass Tintenschwärze überwiegt und nur wenige Farbtafeln wie damals üblich das Werk zieren, die Ausgabe damit im eklatanten Gegensatz zu den gegenwärtig bilderreichen Kochbüchern steht, stört ihn nicht. Die Devise des gelernten Kochs: "Man schaut sich Kochbücher an, aber wird ohnehin niemals 1:1 nachkochen."
Der Laie vielleicht schon. Da helfen ihm jene schier technischen, teils chemisch-physikalischen Erläuterungen im Werk, das sich als "erstes Lehrbuch der Kochkunst" unter Hinzufügung präziser Mengenangaben und Vereinfachung des "Küchenlateins" verstand. Ein Koch sei vor allem Handwerker, betont wie Gouffé auch Paul Bocuse, Kochpapst des 20. Jahrhunderts. Er lehnt das heute geläufige Verständnis des Kochs als Künstler ab. Das Ausweiden und Abhäuten eines Hasen sei wichtig ebenso wie das Aufbinden und Entbeinen ("Desossieren") eines Federwildes. Fertigkeiten, die dem Hobbykoch wie zunehmend auch dem Berufskoch abgingen. Nicht aber Gouffé, der diese ebenso wie die "Tödtung" von Geflügel und Fischen erklärt. Und als Koch konsequent mit zwei Utensilien arbeitete: mit Uhr und Waage.
Gouffés aufgelistetes Handwerksmaterial, jene "Küchenbatterie", die Paul Bocuse malerisch als "persönliche Palette des Kochs" bezeichnet, hat sich jedoch weitgehend technisch verändert, modernisiert. Und damit stimmen auch die bei Gouffé angegebenen Zubereitungs- und Garzeiten für uns nicht mehr. Der Chefkoch war sich jedoch möglicher auftretender technischer Schwierigkeiten bewusst, schrieb er doch, die "Küchenöfen sind je nach den verschiedenen Ländern verschieden eingerichtet und oft leider noch in einem recht unzureichendem Zustande". Auch variierten die Kücheneinrichtungen mit der "bürgerlichen Stellung des Besitzers".

Zwischen gestern und heute
Noch vor einem anderen Problem steht der Hobbykoch von heute à la Gouffé: Woher die artgeschützten Frösche für die "Froschklöschen Suppe mit Sellerie" nehmen? Wie sich die exotischen Vögel Salangane oder von Gouffé geforderten "Gehegekaninchen" beschaffen? Dem kochenden Städter ist der Bauer zu weit und die Herkunft der Tiere bleibt oftmals ungewiss. Auch Chefkoch Bocuse seufzt in seinen Gedanken über Tafelfreuden nostalgisch, "wenn wir uns doch in den - von Chemie reinen - Obst- und Gemüsegärten der Vergangenheit bedienen könnten ..."
Bleibt trotz dieser Einwände ein positives Wohlbehagen angesichts des Muts des Gerstenberg Verlags ein solches Reprint zu wagen. Und mit einem bibliophilen Wälzer - noch dazu in alter Frakturschrift (welcher junge Mensch versteht sie noch zu lesen) - gegen schnelllebige Kochshows und übersättigte Fotoprachtbände auf dem stark umworbenem Kochmarkt zu konkurrieren. Denn Jules Gouffés Monumentalwerk, dessen zwei mehrhundertseitige Bände innerhalb von fünfzehn Jahren fünf Auflagen erreichte und auch in Deutschland im Sauseschritt drei erweiterte Auflagen erlebte, ist für den, der es anders zu lesen vermag, mehr als ein rein kulinarisches Standardwerk: Es ist eine Stück weit Soziologie, Ästhetik und Kulturgeschichte der Tafel und des Kochens im 19. Jahrhundert. Und zugleich Paradebeispiel kulinarischer Übersetzungskunst. Wenn auch dem lesenswerten zweisprachigen Inhaltsverzeichnis, trotz aller Präzision, einige Übersetzungen fehlen und sich die Frage der Nachlässigkeit oder Treue gegenüber der deutschen Ausgabe von 1881 stellt.
Die klassische Küche nebst ihren aufwendigeren Arbeitsprozessen und Handgriffen, wie Jules Gouffé sie beschreibt, wird "nie ganz aussterben", betont Botschaftskoch Tobias Hellmann. Sie ist die Basis der Moderne, Wurzel aller Molekularversuche und küchentechnischer Evolution. Der Sinn eines jeden Kochbuchs sei, wie Jules Gouffé in seinem Vorwort betonte, "selbstschöpferisch" tätig zu werden. Und dabei die Bedeutung des Tafelns und der Tafel nicht zu vernachlässigen, also das ästhetische Element. Galt er doch bei allem Küchen-Materialismus als "Apostel der dekorativen Küche". Schon bei den Griechen waren die Tafelfreuden ein Gesamtkunstwerk, ein Fest der Sinne und eine Frage der Ästhetik. Was manche Schnellkochbücher der Moderne zu vergessen scheinen. Nicht aber Jules Gouffé in seinem umfassenden Werk, das in keiner Gourmet-Bibliothek oder Kulturgeschichte der französischen Küche fehlen sollte.


Plus qu'un livre de cuisine
Le cuisinier et pâtissier Jules Gouffé (1807-1887), « apôtre de la cuisine décorative », est l'auteur en 1867 d'une véritable Bible de l'art culinaire. Traduite en plusieurs langues, dont en allemand, en l'espace de cinq ans, l'ouvrage de cet ancien officier de bouche du « Jockey-Club » (sur proposition d'Alexandre Dumas) compte plus de 2 500 recettes, mais aussi des conseils pour plier correctement des serviettes de table ou pour fabriquer des manchettes de papier pour les cuisses de volailles.
Contrairement aux livres de cuisine actuels, Jules Gouffé fait peu de cas de la couleur pour ses illustrations. Qu'un éditeur allemand ait relevé le défi de proposer une réédition de la traduction de cet ouvrage de 490 pages, dans une écriture pratiquement indéchiffrable pour la plupart des jeunes d'aujourd'hui, traduit sa passion pour la bonne cuisine et la tradition culinaire, mais aussi pour les beaux livres qui sont plus que des
manuels de cuisine - ce sont aussi des ouvrages d'art, de sociologie et d'esthétique.
L'éditeur allemand fait fi des interdictions modernes qui empêchent de suivre quelques-unes des recettes du 19e siècle, lorsque les grenouilles par exemple n'avaient encore aucune protection pour ne pas finir dans les soupes de la bourgeoisie.
L'intérêt pour cet amoureux de la cuisine n'est pas nouveau : l'œuvre monumentale de Jules Gouffé a été éditée cinq fois en France en l'espace de quinze ans, et la première traduction allemande a été rééditée trois fois.
Réd.

Dieses Buch jetzt bei Amazon.de ansehen
Voir ce livre sur Amazon.fr
Die feine Kochkunst