France-Allemagne : une union menacée ?

Autor/Hrsg Auteur/Editeur: Gougeon, Jacques-Pierre
2012, Armand Colin, Paris, ISBN10: 2200257635

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Dieses Buch wurde rezensiert in der Ausgabe: Dokumente/Documents 3/2012 

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Rezension / Compte rendu:
Bedrohte Partnerschaft?

Ein Buch über das deutsch-französische Verhältnis

Plötzlich reden die Partner in einem "Gespräch unter Gehörlosen" ("dialogue de sourds", wie "Le Monde" schrieb) aneinander vorbei. "Libération" fragt sorgenvoll, ob es sich um eine Krise oder einen Bruch handelt ("Une crise ? Une rupture ?"). Dass der neue Mann im Elysée keineswegs Sarkozys Bewunderung für "le modèle allemand" teilt, ist offensichtlich. Aber muss deshalb "Deutschland als Feind" herhalten ("Süddeutsche Zeitung")?
Um Solidität und Berechenbarkeit bemühte Diplomatie ist das eine, auf Überraschung und Stimmungsmache zielende Medienschelte das andere. Gerade weil die deutsch-französische Partnerschaft in den letzten fünfzig Jahren eine so grundsätzliche Stabilität gewonnen hat, haftet dem kleinsten Dissens – wie er in allen Paarbeziehungen gang und gäbe ist – gleich etwas Spektakuläres an. Daher sollte man das deutsch-französische Duo nicht nur im Spiegel der Tagespresse beurteilen, sondern hin und wieder auch auf eine Langzeitanalyse zurückgreifen. Eine solche liefert Jacques-Pierre Gougeon in seinem Buch "France-Allemagne : une union menacée ?"

Die Multipolarität nicht überbewerten
Der Autor ist Germanist und war als solcher Kulturberater der französischen Botschaft in Berlin. Jetzt gehört er zum Beraterkreis von Premierminister Jean-Marc Ayrault, womit seiner Meinung besonderes Gewicht zukommt. Dass es Gougeon nicht darum geht, einer "Erbfreundschaft" im Vorfeld ihres fünfzigjährigen Bestehens Kränze zu flechten, macht schon der Titel deutlich. Ist die zentrale Achse der Europäischen Union bedroht? Ein Satzzeichen sagt manchmal mehr als tausend Worte. Fragen werfen die deutsch-französischen Beziehungen allemal auf. Als besonders problematisch wertet Gougeon die gegenläufige Entwicklung der Partner in ihrem jeweiligen Selbstwertgefühl. Die Zeiten, in denen sich Frankreich, beflügelt von der "Grandeur"-Rhetorik de Gaulles, wichtiger nahm als es seiner realen internationalen Rolle entsprach, während sich die Bundesrepublik in diplomatischer Bescheidenheit übte, sind lange vorbei. Nach der Wiedervereinigung begann Deutschland allmählich sein neues Gewicht sowohl auf der bilateralen als auch der globalen Szene auszuspielen. Nicht länger wollte man nur in der Wirtschaftspolitik in der ersten Liga der Industriestaaten mitspielen, sondern auch auf diplomatischem Parkett. Parallel zu diesem deutschen "Aufstieg" begann man in Frankreich eine larmoyante Lust am vermeintlich eigenen nationalen "Niedergang" zu kultivieren. Bis dato ungewohnt forsche Töne auf der einen und skeptische Nabelschau auf der anderen Seite waren der bisherigen guten Ehebeziehung ("bon ménage à deux") nicht bekömmlich.
Es konnte nicht ausbleiben, dass Berlin und Paris ihr exklusives Tandem zugunsten anderer Optionen relativierten. So intensivierte die ostdeutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die Beziehungen zu Polen und anderen mitteleuropäischen Ländern, worauf Nicolas Sarkozy 2008 mit der Gründung einer Union für das Mittelmeer reagierte. So wenig man dem Autor widersprechen mag, dass die diplomatischen Bemühungen beiderseits des Rheins dem Prinzip der Multipolarität folgen, so sollte man dies auch nicht überbewerten. Berlins Draht nach Warschau ist noch lange nicht so stabil wie der nach Paris. Umgekehrt ruderte Frankreich bei der neu zu schaffenden Union, bei der ursprünglich ausschließlich Mittelmeer-Anrainer mitwirken sollten, bald kräftig zurück. Nicht nur wurden alle europäischen Länder eingeladen, an dem mediterranen Projekt mitzuwirken, es wurde auch schnell deutlich, dass die Mittelmeerunion nicht im geringsten über die Mittel verfügte, um als seriöse Süd-Erweiterung der europäischen Union in Betracht zu kommen.
Doch ist es gar nicht dieser wahrscheinlich eklatanteste Fehlschlag der französischen Außenpolitik unter Nicolas Sarkozy, der den Franzosen aufs Gemüt schlägt. Auch die Tatsache, dass der Vertrag von Lissabon Deutschland gemäß seinem Bevölkerungsanteil 18 % der Stimmen im EU Ministerrat zugesteht und Frankreich nur 13 %, wird von Jacques-Pierre Gougeon überschätzt. Dieses Ungleichgewicht, gegen das sich noch Präsident Jacques Chirac erfolgreich wehrte, bringt kaum einen Franzosen um den Schlaf. Sehr viel mehr beschäftigt französische Unternehmer, dass ihr chronisches Defizit im Außenhandel ebenso ins Auge sticht wie die geradezu auf Dauer gebuchten Rekorde der deutschen Exportüberschüsse. Und auch die französischen Arbeitnehmer können sich nur darüber wundern, dass ihre deutschen Kollegen bereit sind, in Zukunft erst mit 67 in Rente zu gehen, während sie sich selbst über die Arbeit bis 62 ärgern. In diesen Punkten befinden sich Deutschland und Frankreich in der Tat nicht auf Augenhöhe. Doch ließe sich dem ökonomischen Ungleichgewicht die demographische Entwicklung an die Seite stellen, die in Frankreich um einiges dynamischer verläuft als in Deutschland.

Umgang mit der Vergangenheit
Mit Gewinn liest man Gougeons ebenso profunde Betrachtungen zum Umgang der beiden Länder mit ihrer unterschiedlichen Vergangenheit, insbesondere was deren dunkle Kapitel angeht. Wie hält es Frankreich mit seiner Kolonialzeit, dem Vichy-Regime und dem Algerien-Krieg? Wie geht Deutschland um mit der preußischen Militärmaschinerie, Nationalsozialismus und vierzig Jahren DDR? Auch wenn sich die Sünden der Vergangenheit nicht in einen Topf werfen lassen, kommt der Autor zu einem überraschenden Vergleich: "Deutschland scheint weniger Gefangener seiner Historie zu sein als Frankreich, welches noch nicht alle Tabus seiner Geschichte gelüftet hat." Nichtsdestotrotz geht der Blick beider Länder naturgemäß eher in die Zukunft als in die Vergangenheit. Wenn Gougeons Hypothese vom französischen "déclin" versus deutsche "ascension" ("Niedergang" in Frankreich gegen "Aufstieg" in Deutschland) überhaupt Sinn macht, dann wohl am ehesten in den kontrastreichen Reaktionen auf das Phänomen der Globalisierung. Während das eine Land, in dem einst Ruhe und Ordnung als erste Bürgerpflicht sowie der Schrebergarten als höchstes Glück galten, wie selbstverständlich den Stürmen und Unwägbarkeiten einer neuartigen Welt-Innenpolitik begegnet, tut sich das andere Land, deren citoyens manche Zeitenwende ertrotzten und deren Weltläufigkeit Maßstäbe setzte, schwer mit der Globalisierung ("mondialisation"). Doch keine Dialektik ohne Synthese: Als tragende Pfeiler der EU werden Frankreich und Deutschland gemeinsam die Herausforderung der aktuellen und künftigen Krisen weit eher meistern, als wenn jedes Land sich an seine Prioritäten klammert. So bleibt das deutsch-französische Verhältnis noch für lange das, was es schon immer gewesen ist: "work in progress".

Des doutes partagés
L’union entre la France et l’Allemagne est-elle menacée ? Poser la question à quelques mois de la célébration du 50e anniversaire de la signature du Traité de l’Elysée aurait pu être pris pour une provocation. Le point d’interrogation qui complète le titre de l’ouvrage relativise bien sûr la crainte d’une telle menace. Par ailleurs la personnalité même de l’auteur permet de raison garder. Ancien conseiller culturel de l’ambassade de France à Berlin, Jacques-Pierre Gougeon, professeur des universités, directeur de recherche à l’Institut de relations internationales et stratégiques (IRIS) et spécialiste de l’Allemagne contemporaine et des relations franco-allemandes, est en effet, depuis l’arrivée de François Hollande à l’Elysée, conseiller du nouveau premier ministre, Jean-Marc Ayrault, pour les questions relatives à l’Allemagne.
Ecrite et publiée avant cette nomination, l’analyse énumère les doutes partagés et décrit le déséquilibre de plus en plus frappant qui traduit un malaise certain entre la France et l’Allemagne malgré les apparences parfois trompeuses que projetait l’euphorie médiatisée de la Merkozy. Jacques-Pierre Gougeon replace le malaise dans son vrai contexte et montre dans son ouvrage que les difficultés constatées aujourd’hui dépassent la simple sphère économique : quand l’Allemagne entreprend de se réinventer, la France se tournevers elle-même, hantée par la peur du déclassement, écrit-il. L’élection de François Hollande a quelque peu modifié les rapports de force entre le président et la chancelière, et par voie de conséquence entre la France et l’Allemagne, mais la réalité des chiffres et des cultures, celle des stratégies nationales et des compromis européens, continue à dominer la relation franco-allemande.
Réd.

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France-Allemagne : une union menacée ?