Originaltitel: Un beau ténébreux

Rezension / Compte rendu:
Gestrandet
Ort der Handlung ist das Hôtel des Vagues irgendwo in der Bretagne, nur durch die anreisenden Touristen erhält diese Ferienwelt eine, wie es heißt, "prekäre Seele", und so empfindet es auch der dort residierende Tagebuchschreiber Gérard. Aus seinen Aufzeichnungen erfahren wir einiges über die dort weilenden Müßiggänger; Gérard selbst will in dieser Abgeschiedenheit an seiner Studie über Rimbaud weiterarbeiten. Wie es so oft passiert, ergeben sich aus der zunächst diffus erscheinenden Konstellation von Gästen neue, wenngleich zeitlich bedingte Beziehungen, wobei frei flottierende Mutmaßungen über den einen oder die andere hier mit Momenten von Eifersucht verquickt sind. Als ein neues Pärchen eintrifft, scheint auf einmal eine kollektive Faszination um sich zu greifen: Allan und Dolores betören allein durch ihre Anwesenheit, niemand weiß, warum. Vor allem Allan beschäftigt die Feriengäste bis in ihre Träume hinein. Hat es mit seiner Erscheinung zu tun, seiner Aura, die etwas Mysteriöses, auch Mystisches, verströmt? Eine gewisse Christel murmelt: "Ich will wissen, was mir durch ihn hindurch ein Zeichen gibt." Allan ist jemand, der zu reden, intellektuell zu brillieren weiß, zwischen ihm und Gérard gibt es Gespräche, die mit allerlei literarischen Bezügen durchsetzt sind, von Dostojewski bis Baudelaire, von Faust bis Julien Sorel. Mit der Zeit indes scheint die Stimmung zu kippen, einmal heißt es gar, Allan habe "die Ferien vergiftet". Bis dahin wird es ohnehin schon eine Handvoll Irritationen gegeben haben – so verprasst Allan im Casino fast einen Millionenbetrag –, doch es wird bis zum Schluss dauern, bis der Leser erfährt, was es mit all den seltsamen Verhaltensweisen und Ungereimtheiten auf sich hat: Das Pärchen Allan/ Dolores ist an diesen Ort gekommen, um seinem Leben ein Ende zu machen. Der große Stilist Julien Gracq hat zeitlebens nur drei Romane verfasst, Der Versucher war sein zweites Werk und erschien in Frankreich 1945. Sein bekannt Rätselhaftes und Geheimnisvolles ist auch diesem Buch eingeschrieben, und der ausgewiesene Gracq-Kenner und -Übersetzer Dieter Hornig hat erneut Präzisionsarbeit geliefert.
Thomas Laux