Generation '68: 40 Jahre nach der Mai-Revolte
Seit dem Amtsantritt von Nicolas Sarkozy vor einem knappen Jahr wird die Haltung des neuen Staatspräsidenten zu Deutschland beobachtet, als drohten die deutsch-französischen Beziehungen auf neuen Wegen zu entgleisen. Die Verschiebung des Gipfels vom März auf Juni hat zu Spekulationen geführt, Paris und Berlin haben aber schnell reagiert: Der französische Präsident hat zusammen mit der Bundeskanzlerin am 3. März die Technologie-Messe CeBit in Hannover eröffnet. Kein Gipfel, nur ein Treffen, um einiges in wenigen Sätzen klar zu stellen, um die Skeptiker zu beruhigen. Alles bestens. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Uhren der bilateralen Zusammenarbeit nun stehen bleiben müssen. Und genau diese Botschaft will Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zum Ausdruck bringen, wenn er unter der gemeinsamen Schirmherrschaft von Premierminister François Fillon ein französisches Jahr in seinem Bundesland gestaltet. Dokumente und Documents begleiten diese Initiative, um zu zeigen, wie Frankreich weiterhin die deutsche Zivilgesellschaft motiviert, aber auch um den Franzosen eine Region vorzustellen, die sie meistens nur als "Ruhrgebiet" kennen. Mehr denn je müssen sich Franzosen und Deutsche gegenseitig vergleichen, um sich besser zu verstehen. Über die Unterschiede hinaus sind es manchmal die unerwarteten Ähnlichkeiten, die Grund für Überraschungen sind. In beiden Ländern beanspruchen zum Beispiel Rechts und Links die Stichwörter Mitte und Centre, um die
Wählerschaft für sich zu gewinnen und die angeblich von allen Bürgern erwarteten Reformen durchzusetzen. Alle politischen Formationen verlangen Reformen, keiner stellt in Abrede, dass sie notwendig und unumgänglich sind, wenn die zukünftigen Generationen in einer gerechten Gesellschaft
leben sollen. Ideen gibt es genug, deren Umsetzung führt allerdings zu Protestaktionen, die den Reformprozess bremsen. Vor 40 Jahren, im Jahre 1968 also, gärte der ganze Planet – von Vietnam bis zum Wenzelsplatz im Herzen von Prag; von der Sorbonne bis zu den Universitäten von Berlin und Frankfurt sprach keiner von Reformen, sondern von Revolte, gar von Revolution. In Frankreich und Deutschland wollte man damals die Gesellschaft ändern, heute will man sie höchstens verändern. 1968 suchten die Jugendlichen neue Werte, um sich von der Generation ihrer Eltern abzugrenzen, sie skandierten auf den Straßen, es sei nun verboten zu verbieten. Nach einer Erfahrung von vier Jahrzehnten und unter dem Einfluss von globalisierten Verhaltensmustern will man im Jahre 2008 gesellschaftliche Grundsätze verteidigen, und man scheut sich nicht, das zu verbieten, was 1968 als Symbol der Freiheit dargestellt worden war. Man will die kapitalistische Gier im Zaum halten, man verlangt aber keinen ideologischen Wechsel – man ist gegen das Rauchen auf öffentlichen Plätzen, man kämpft gegen die Verschmutzung seiner Umwelt und gegen die Verschwendung von Ressourcen. Was bleibt also heute von 1968 übrig? Die in diesen Wochen oft gestellte Frage duldet keine absoluten Antworten. Eine Gesellschaft muss sich fortdauernd entwickeln, 1968 hat die Mentalitäten, die Gewohnheiten, die Familienbeziehungen, die Arbeitswelt verändert; den Kalten Krieg gibt es nicht mehr, der Terrorismus hat ein neues (maskiertes) Gesicht, Europa wird größer, die Grenzen fallen, die gesellschaftlichen Unterschiede verschwimmen, zumindest zwischen Frankreich und Deutschland. Heute sind die 68er an der Macht. Mit dem Dossier "Generation '68" wollen Dokumente und Documents nicht Bilanz ziehen, sondern nur analysieren, was heute als Hinterlassenschaft
von 1968 erkannt wird, oder eben nicht. Genauso wie dies 1978, 1988 und 1998 gefragt wurde – mit jeweils anderen Antworten.
Gérard Foussier
Chronologie/Chronologie
Inhalt/Sommaire
Renata Fritsch-Bournazel, Philippe Carli, Rudolf von Thadden